Nach der militärischen Eskalation in Palästina und Israel teilten zwei unserer Mitarbeitenden vor Ort ihre Gedanken und Gefühle mit uns. Ausschnitte ihrer Beiträge sowie einen ausführlichen Bericht zur politischen Situation vor Ort finden Sie ebenfalls in unseren Sommerinformationen.

Eine Stimme aus Israel: „Diese Zeit ist aufwühlend und schmerzhaft. Viele Herzen auf den israelischen Straßen brennen vor Angst und Hass.  Je mehr Jahre vergehen, desto schwieriger wird es, über Frieden, Gleichheit und das Ende der Besatzung zu sprechen. Ich habe gemischte Gefühle gegenüber meinem Land: Ich fühle mich beschämt und wütend, wenn ich höre, was in Gaza passiert; mein Staat wendet immer mehr Gewalt an und denkt, dass dies die Lösung sei, aber es ist klar, dass mehr Gewalt nur noch mehr Gewalt, Angst und Hass erzeugt. Während des Krieges hatte ich Angst, das Haus zu verlassen, wenn Raketen aus Gaza auf uns abgefeuert wurden. Ich hatte auch Angst vor der Gewalt der Polizei und rechter Aktivist*innen während der Demonstrationen. In meinem familiären Umfeld war es schwer, meine Meinung offen zu äußern, weil wir aus ihrer Sicht die Opfer in der Geschichte sind. Sie warnten mich davor, arabische Freund*innen oder Geschäfte zu besuchen – was ich natürlich dennoch tat um nachzufragen, wie es ihnen geht: Der Tenor aus diesen Gesprächen war, dass es für sie klar ist, dass die Juden und Jüdinnen, die das Chaos angerichtet haben, nicht aus Haifa kommen und dass die Nachbar*innen – jüdische wie palästinensische – zur Unterstützung gekommen sind. Der Grat zwischen Hoffnung und Verzweiflung ist sehr schmal. Als ich an den Solidaritätsdemonstrationen und -initiativen teilnahm und ihre Kraft spürte, kam Hoffnung in mir auf –  auch, weil ich wusste, dass sie im ganzen Land stattfanden. Es schmerzt mich sehr, die Gewalt von Palästinenser*innen gegen Juden und Jüdinnen zu sehen, aber ich sehe auch die Ursachen dieser Gewalt – die Unterdrückung der Palästinenser*innen durch Israel. In vielen Teilen der israelischen Gesellschaft herrscht Wahrnehmung vor, es der Konflikt sei ein „entweder-wir-oder-sie“. Und auf beiden Seiten gibt es diejenigen, die sagen: „Das gehört alles uns“. Wenn Palästinenser*innen über Unabhängigkeit und Rechte sprechen, empfinden viele Israelis das als Bedrohung. In unserem kollektiven Bewusstsein als Israel*innen sind wir als Juden und Jüdinnen seit je her ein verfolgtes Volk und stetig Angriffen ausgesetzt und müssen um jeden Preis um unsere Existenz kämpfen.“

Eine Stimme aus dem Westjordanland: „Ich habe bisher versucht, nicht über das, was ich nun schreibe, nachzudenken – denn es bricht mir das Herz, so viel Ungerechtigkeit und ungerechtfertigte Gewalt gegen mein Volk zu sehen. Während des Ramadan gab es sehr viel ungerechtfertigte Gewalt gegen Palästinenser*innen in Jerusalem und es wurde kontinuierlich versucht, noch mehr palästinensische Häuser in verschiedenen Vierteln der Stadt zu stehlen. Dies führte zu mehr Gewalt von beiden Seiten; und diese Gewalt breitete sich bis nach Gaza aus. Die zwölf Tage des letzten Krieges gegen Gaza waren sehr schmerzhaft. Viele  Zivilist*innen und Kinder, die keine Schutzräume haben, in denen sie sich verstecken konnten, wurden getötet. (…) Es gab Verluste auf beiden Seiten, die jedoch nicht vergleichbar sind – es gibt so viele Details rund um dieses komplexe Thema.

Auf einer persönlichen Ebene erlebte ich einen Moment tiefen Zweifels in meinem Herz und begann mich selbst zu hinterfragen – ist die Dialogarbeit, die ich mache, richtig ist oder nicht? Es war eine sehr emotionale Zeit, aber dann nutzte ich wieder mehr meinen Verstand als meinen Bauch zum Denken und ich begann zu mir selbst zu sagen: „Wenn ich aufgebe und er auch, und sie auch, und die anderen auch, wer bleibt dann noch übrig? Wie würde das Leben ohne uns aussehen, ohne diejenigen, die einen Wandel wollen, die diesen Ort zu einem besseren Ort zum Leben machen wollen?“ Ich erinnerte mich daran, wie diese Arbeit mich persönlich verändert hat und wie sie im Laufe der Jahre die Meinung vieler Menschen um mich herum verändert hat, und ich wusste: wir müssen weitermachen.

Meine Gefühle schwanken sehr in dieser schwierigen Zeit, aber je angespannter die politische Situation ist, desto mehr glaube ich an unsere Arbeit.