Die jährlichen Begegnungsfreizeiten mit Jugendlichen aus Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina
Jeden Sommer treffen sich rund 120 Jugendliche im Alter von circa 14 bis 17 Jahren aus fünf Städten in Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina am Meer, meist an der kroatischen Adria, meist in Basko Polje oder in Split. Für viele ist es die erste Gelegenheit, die „Anderen“ zu treffen: nach den ethnischen Vertreibungen während der Kriege und der Manifestierung der ethnischen Teilung durch den Friedensvertrag von Dayton finden Begegnungen im Alltag der Jugendlichen wenig statt oder sind geprägt durch Vorurteile und Hass. Für die meisten unserer Aktiven ist diese zweiwöchige Begegnungsfreizeit der Einstieg in ihr Engagement bei Youth United in Peace.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Unsere Partner(-organisationen) wählen die Teilnehmer*innen aus, dabei gibt es keinen festgelegten Proporz zwischen den in den jeweiligen Ländern vertretenen ethnischen Gruppen. Die Auswahlkriterien richten sich nach der Situation in den einzelnen Städten. In Sombor arbeitet eine feste Gruppe, die sich regelmäßig trifft, und wer sich engagiert, hat die besten Chancen. Aus Gornji Vakuf-Uskoplje, wo die Feindschaft noch groß ist, können Jugendliche, die in ihrer ethnischen Gruppe wegen ihrer Kontakte zu den „Anderen“ stark angefeindet werden, auch zweimal kommen, um in ihrer Haltung unterstützt zu werden.
In allen fünf Städten finden inhaltliche Vorbereitungstreffen mit den Jugendlichen und Veranstaltungen für die Eltern statt, von denen viele noch immer Probleme damit haben, dass ihre Kinder dort die Kinder ‚der Feinde‘ treffen.
Der Ablauf der Begegnungsfreizeit
Bei Kennenlernspielen kommen die Jugendlichen ungezwungen miteinander in Kontakt. Wenn sie z.B. mit 20 Leuten Platz auf einer Tischdecke finden müssen, geht das nur, wenn alle sich umarmen und aneinander festhalten. Das gemeinsame Lachen lässt anfängliche Vorbehalte schnell verschwinden und Sympathie füreinander entstehen.
Das erste inhaltliche Kernelement der Begegnungen sind seit Beginn des Projektes unterschiedliche Workshops, die von den Betreuer*innen der verschiedenen Gruppen angeboten werden, z.B. über gewaltfreie Konfliktbearbeitung, über die verschiedenen Religionen oder über Vorurteile und Stereotypen. Die Jugendlichen können diese frei nach ihren Interessen wählen, so wird die Gruppe jeden Tag aufs Neue gemischt. Nachmittags gehen alle gemeinsam an den Strand und für die Nichtschwimmer*innen findet in den ersten Tagen ein Schwimmkurs statt.
Die wichtigsten Workshops, die beginnen, wenn sich alle schon etwas besser kennen, beschäftigen sich mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Der ist in den Familien weiterhin ein Tabu-Thema, obwohl fast alle Jugendlichen Väter oder Onkel haben, die im Krieg kämpften beziehungsweise weibliche Verwandte, die von während des Krieges von (sexualisierter) Gewalt betroffen waren. „Über den Krieg spricht man nicht. Punkt. Ende“, beschreibt eine Teilnehmerin dieses Schweigen. In den Schulen wird der Krieg nur kurz oder gar nicht thematisiert, dafür gibt es in allen Ländern umso mehr Heldenlegenden um die eigenen Kämpfer, während die Schuld immer den „Anderen“ zugeschoben wird. Für die Jugendlichen ist es befreiend, offen über den Krieg sprechen und Fragen stellen zu können und gemeinsam zu diskutieren. Diese Gespräche setzen sich am Strand und in den Nächten fort.
Für einen dieser Workshops nutzen die Mitarbeiter*innen die Fotografien des US-amerikanischen Kriegsfotografen Ron Haviv. Seit einige Mitglieder von YU-Peace Ron Haviv 2014 zufällig beim Sarajevo-Peace-Event trafen, diskutiert er jeden Sommer mit den Teilnehmenden über das Internet über seine Erfahrungen und seine Arbeit. 2017 hielt er sich für ein Flimprojekt in Bosnien auf und besuchte die Gruppe während ihrer Begegnungsfreizeit in Basko Polje, Kroatien. Die Ernsthaftigkeit, mit der sich die jungen Menschen mit der Geschichte ihrer Länder auseinandersetzten, beeindruckte ihn sehr.
Nachdem das gemeinsame Gespräch über den Krieg geöffnet ist, beschäftigen sich die Jugendlichen in den darauf folgenden Workshops tiefer mit dem Thema; aber auch Beispiele aktuellen Aktivismus und die Frage, wie die Jugendlichen selbst aktiv werden können sind Teil des Programms – es variiert von Jahr zu Jahr.
In vielen Jahren gibt es eine Begegnung mit drei ehemaligen Kriegsgefangenen, einem Bosnier, einem Serben und einem Kroaten. Sie berichten über ihre Erfahrungen in den Gefangenenlagern, beantworten viele Fragen der Jugendlichen und rufen sie dazu auf, ihrem Weg für den Frieden weiter zu folgen.
2019 begeisterte Sofija Todorovic von der „Youth Initiative for Human Rights-Serbia“ die Jugendlichen: sie zeigte anhand ihres eigenen Engagements für Menschenrechte, wie jede*r etwas bewirken kann. So wird auch eine Brücke zwischen historischen Ereignissen, aktueller politischer Situation und verschiedenen Möglichkeiten des eigenen politischen Engagements geschlagen – ein besonders wichtiger Aspekt für die Jugendlichen. In eine ähnliche Kerbe schlug, ebenfalls 2019, die Aktivistin Ajna Jusic, die ihre eigene Geschichte erzählte, die sie selbst zur Aktivist*in werden ließ und ihre Organisation „Vergessene Kinder des Krieges“ vorstellte. Dort setzen sich Frauen, die während des Krieges vergewaltigt wurden, zusammen mit ihren Kindern dafür ein, offen mit den Konsequenzen der Massenvergewaltigungen umzugehen und die aus diesen Vergewaltigungen geborenen Kinder rechtlich mit den Kindern von Kriegsveteranen gleichzustellen.
Im letzten Workshop diskutieren die Jugendlichen schließlich darüber, wie sie ihre Erfahrungen aus dieser Begegnung in ihren Städten weitergeben können.
Jedes Jahr wählen die Teilnehmer*innen nach einigen Tagen einen Slogan für die Begegnungsfreizeit, der ihre gemeinsame Hoffnung, aber auch ihre Ziele und Perspektiven ausdrückt und den sie auch nach außen tragen wollen: „Alle unter einem Himmel“, „Verschieden? Na Und!“, „Stärker als die Grenzen“, sind nur einige Beispiele aus vergangenen Jahren. Auf selbstgemalten T-Shirts tragen sie diesen Slogan bei einem Ausflug in die nächstgelegene Stadt, verteilen Flugblätter und machen durch Singen oder einstudierte Aufführungen auf sich und ihre Botschaft aufmerksam. Die positiven Reaktionen vieler Passant*innen machen ihnen Mut und das gemeinsame Erlebnis bestärkt viele darin, auch zu Hause für ihre Ziele einzutreten.
„Als wir mit unserer Friedensbotschaft durch Baska Voda spazierten, konnte ich mit vielen Passanten über Freundschaft und über den Krieg sprechen. Wir erhielten viel Unterstützung von ihnen, sie alle waren angenehm überrascht davon, dass so ein Projekt existiert. Eine alte Dame redete uns ins Gewissen: ‚Ihr Jungen müsst klüger sein als wir und dürft nicht dieselben Fehler machen.‘ Dieser Abend war einer der schönsten meines Lebens!“ beschreibt eine Teilnehmerin diese Erfahrung. In ihrer Freizeit organisieren die Jugendliche Fußball- oder Basketball-Turniere, unternehmen eine gemeinsame Wanderung, sitzen auf der großen Terrasse zusammen, singen und reden oder veranstalten eine Disco.
Jeder Abend endet mit dem „Sastanak“ („Treffen“), bei dem mit der gesamten Gruppe wichtige Ereignisse des Tages besprochen werden, Kritik oder Probleme zur Sprache kommen und dann die Workshops für den nächsten Tag ausgewählt werden. Diese Gruppentreffen werden von den Jugendlichen selbst moderiert und mitgestaltet. Um 24 Uhr ist der Tag offiziell beendet, aber dann beginnt der wichtigste Teil. „Die eigentliche Verbrüderung findet in den Nächten statt“, wissen die Betreuer*innen, von denen viele selbst einmal als Teilnehmende dabei waren. Bis tief in die Nacht sitzen die Jugendlichen zusammen, manchmal drängen sich 20 Leute in ein Dreibett-Zimmer, um miteinander zu reden, zu singen und einfach das Zusammensein zu genießen. Aus all diesen Aktivitäten entsteht das Gefühl, Teil einer einzigartigen Gemeinschaft zu sein – in der viele im Anschluss an die Begegnungsfreizeit weiter aktiv sein wollen.
Eine Teilnehmerin beschreibt es so: „Stellen Sie sich ein riesiges Herz vor, und alle unsere Namen, unsere Geschichten und Erfahrungen sind darin enthalten, alle unsere Liebe und unsere Freundschaften. Und ein kleiner Teil dieses Herzens ist in jedem von uns. So sehe ich das Projekt.“