Einsatz für Menschenrechte

2015 wurden in Israel palästinensische und israelische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sowie zivilgesellschaftliche Gruppen permanent angegriffen. Viele dieser Angriffe kamen von Seiten der israelischen Regierung und rechten Organisationen.

Im November 2015 verbot Israel aufgrund erfundener Vorwürfe den nördlichen Zweig von ‚Islamic Movement in Israel‘. ‚Islamic Movement‘ ist politischer Repräsentant eines beachtlichen Teils der palästinensischen Bürger Israels. Bei der Überprüfung dieser jüngsten repressiven und antidemokratischen Maßnahme stellte die NGO Adalah (die juristische und politische Interessenvertretung für arabische Minderheitenrechte in Israel) fest, dass „das Verbot von ‚Islamic Movement‘ eine aggressive, drakonische Maßnahme“ sei. Solche berechtigten Stimmen werden von israelischen Funktionsträgern zum Schweigen gebracht.

Im Dezember 2015 wurde in Israel eine neue Kampagne gegen Menschenrechtsaktivisten mit dem Slogan ‚Wenn wir Terrorismus bekämpfen, bekämpfen sie uns‘ ins Leben gerufen. Israelische Funktionsträger verfolgen das Ziel, Palästinenser und diejenigen, die sich für ihre Rechte stark machen, mit Nachdruck zum Schweigen zu bringen. Beispielsweise warnte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu im Frühjahr 2015 potenzielle Wähler vor der sogenannten ‚arabischen Bedrohung‘: „Arabische Wähler machen sich in Scharen auf den Weg zu den Wahllokalen“. Wirtschaftsminister Naftali Bennett äußerte sich: „Ich habe in meinem Leben viele Araber getötet und daran gibt es nichts auszusetzen“. In der Knesset gab es jüngst eine Welle von Gesetzesvorlagen, die sich gegen Menschenrechts-NGOs richten – diese werden als ausländische Agenten geschmäht (sobald sie Geld aus dem Ausland annehmen. Anm. d. Red.). Gleichzeitig hat ein Klima der Intoleranz gegenüber linken NGOs in Israel generell zugenommen, ein Klima, das jüngst zur Verhaftung dreier Menschenrechtsaktivisten führte: Nasser Nawaja (von der Organisation B’Tselem), Ezra Nawi (von Ta’ayush) und Guy Butavia.

Dies sind nur einige Beispiele für Israels jahrzehntelange systematische anti-demokratische Politik und Verwehrung grundlegender Menschenrechte für Palästinenser. Kontinuierlich arbeiteten israelische Regierungen in den vergangenen Jahren an einer räumlichen und politischen Trennung zwischen israelischen Juden und Palästinensern: Die einen profitieren von ethnokratischen und Erste-Welt-Privilegien, während die anderen eingekreist, ghettoisiert und außer Sichtweite untergebracht werden. Dies führte dazu, dass Israelis und Palästinenser selten außerhalb eines Kontextes von Dominanz und kolonialem Privileg interagieren, wodurch Letzteres sehr häufig verschleiert und gegenüber Ersterem externalisiert wird. Für mich als Menschenrechtsanwalt und Aktivist vor Ort ist es das wichtigste Ziel, diese Realität zu überwinden, einen Raum für Ko-Widerstand (gemeinsamer Widerstand) zu schaffen und dabei den Weg für einen gemeinsamen Kampf für Dekolonialisierung und gleiche Rechte für alle zu bereiten.

Diese zutiefst ungerechte und beunruhigende Realität trieb mich zu dem Entschluss, als Facilitator bei einem Ferien vom Krieg-Seminar für Israelis und Palästinenser mitzuarbeiten. Heutzutage haben Palästinenser und Israelis selten die Chance, sich von der Nah-Ost-Region und dem Konflikt zu distanzieren, gemeinsam Zeit in einem konstruktiven, sicheren Rahmen zu verbringen, Ideen zu teilen und eine Basis für gemeinsame Bemühungen zu finden. Das Projekt erlaubt den Teilnehmern beider Seiten, eine neue und erweiterte Perspektive zu gewinnen, wie Palästinenser und Israelis konstruktiv kooperieren können.

Gemeinsam mit einer palästinensischen Mediatorin, die ebenfalls Anwältin und Aktivistin ist, betreute ich eine Gruppe von 16 Teilnehmern. Die einzigartigen Bedingungen, die das Seminar bietet, erlaubten es sowohl Palästinensern als auch Israelis, der unerträglichen Realität zu entkommen und zwei Wochen lang zuzuhören, miteinander zu reden, zu lernen, zu reflektieren und sich selbst zu beobachten. Dies zwang die Teilnehmer dazu, sich mit ihren tiefsitzenden Stereotypen, Vorurteilen und vorgefassten Vorstellungen über die Anderen zu konfrontieren und sich auf einer menschlichen Ebene der Empathie zu begegnen. Gleichzeitig mussten sie versuchen, Machtungleichgewichte und Privilegien zu überdenken und apolitische Mantras zu überwinden. Die offene Atmosphäre erlaubte es den Teilnehmern, ihre Gefühle, Gedanken, Ängste und Träume ehrlich zu teilen. Darüber hinaus wurden sie dazu ermutigt, moralische Dilemmas, mit denen sie täglich umgehen müssen, zu reflektieren und neu zu beurteilen und einen Weg zu finden, mögliche Lösungen dieser Dilemmas innerhalb der Gruppe zu artikulieren und auszudrücken.

Aufgrund dieser wunderbaren Möglichkeit, die mir gegeben wurde, habe ich während der Zeit in Deutschland auch auf persönlicher Ebene viele neue Einblicke gewonnen. Die Erfahrung hat mein Wissen und Verständnis über politischen Aktivismus, Konfliktbewältigung, zwischenmenschliche Fähigkeiten und generelle politische Aussichten und Horizonte erweitert. Das Seminar hat meine Entschlossenheit gestärkt, als Menschenrechtsanwalt in meiner Region zu arbeiten, insbesondere in Anbetracht der Auswirkungen der Apartheid auf beiden Seiten der Trennmauer. Ich bin jetzt noch motivierter, meine Aktivitäten auszuweiten und eine neue Generation von Menschenrechts-Anwälten auszubilden.

Als wir anfingen, potenziellen Teilnehmern von dem Projekt zu erzählen, wurden wir uns der großen Herausforderung bewusst, vor der wir standen. Dies ist unserer Realität geschuldet: Treffen und Möglichkeiten für gemeinsame Aktivitäten und Aktionen sind selten und schwer geworden. Wir, Israelis und Palästinenser, leben in einer Wirklichkeit der Intoleranz, der Ausgrenzung und der Unterdrückung, insbesondere gegen Palästinenser und Aktivisten. Diese setzen sich täglich gegen Abgrenzung und Apartheid, Militärherrschaft und fehlende Versammlungsfreiheit ein. Gleichzeitig engagieren sie sich für Meinungsfreiheit, das Recht zu wählen, das Recht, das Land zu betreten oder zu verlassen und sich frei in ihm zu bewegen und mit dem selbst gewählten Ehepartner leben zu können sowie vieles mehr.

Im Seminar schilderten Palästinenser aus der Westbank ihre Erfahrungen von dem Leben unter militärischer Besatzung. Sie berichteten, wie die israelische Armee in ihre Häuser eindringt, von nächtlichen Verhaftungen und Belagerungen, von Ausgangssperren und sogar Ermordungen, die sie beobachtet hatten. Sie erzählten uns von ihren Freunden und Familien in Gaza, die unter einer totalen Belagerung leben.

Die Aktivisten, die im Projekt Ferien vom Krieg engagiert sind, versuchen, diese Wirklichkeit zu verändern, indem sie diese wichtigen Seminare organisieren, die in Israel und Palästina praktisch nicht durchgeführt werden können. Die komplexe und echte Begegnung zwischen Israelis und Palästinensern schafft einen Funken Vernunft inmitten all des gewalttätigen Wahnsinns.

Nachdem ich jahrelang in meinem zutiefst zerrissenen Land Vorlesungen hielt, unterrichte und mich politisch engagierte, weiß ich jetzt, dass es möglich ist, die Realität in der Region zu verändern. Den Berichten der Palästinenser während des Seminars ausgesetzt zu sein, hat mich erkennen lassen, wie wichtig es ist, für die Freiheit und Gleichheit jedes einzelnen zu kämpfen. Genauer gesagt, sich dem Kampf derjenigen anzuschließen, die am stärksten diskriminiert und ihrer fundamentalen Menschenrechte beraubt werden.

Als Enkel von Holocaust-Überlebenden wuchs ich mit Geschichten über mutige Einzelpersonen in Deutschland auf, die ihr eigenes Leben und das ihrer Familien riskierten, um während der dunkelsten Stunde der Menschheit – Hitlers Invasion in Europa – das Leben Fremder zu retten. Daher ist es kein Zufall, dass ich nach Deutschland kam, um meine Überzeugung zu stärken, dass israelische Anwälte sich am Kampf um Menschenrechte in Palästina beteiligen müssen.

Ich bin überzeugt davon, dass die meisten Deutschen für Anstand, Toleranz, Freiheit und Fair Play stehen. Meiner Meinung nach ist Ferien vom Krieg ein Beispiel für den Stellenwert, den eine europäische Beteiligung in Israel-Palästina hat. Eine Beteiligung, die irgendwann die Trennmauer in Palästina zu Fall bringen wird, was mein Ziel ist: ein Bild, inspiriert vom Fall der Berliner Mauer 1989.

Yaar Peretz ist Menschenrechtsanwalt in Israel, Jura-Dozent an verschiedenen Fakultäten der Rechtswissenschaften in Israel und vertritt vor dem Obersten Gerichtshof Israels die Interessen von Palästinensern. Yaar Peretz ist Referent bei Konferenzen und Menschenrechtskampagnen in Zusammenarbeit mit internationalen NGOs und zivilgesellschaftlichen Bewegungen. In diesem Jahr kam er erstmals als Mediator (Facilitator) mit unserer Partnerorganisation ‚Breaking Barriers‘ zum Dialogseminar nach Deutschland.