Mit großer Verwunderung haben wir den Newsletter „BIP-Aktuell #264: Normalisierung“ vom 24.6.2023 gelesen. Dort schreibt das BIP über „Ferien vom Krieg – Dialoge über Grenzen hinweg“:

„Deutschland ist ein wichtiger Finanzier für Normalisierungsprojekte. Die Organisation Ferien vom Krieg lädt Israelis und Palästinenser ein, sich zu treffen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie Normalisierungsprozesse die Illusion von „zwei Seiten“ erzeugen. Während die israelischen Teilnehmer eingeladen werden, um etwas über die Besatzung und die Verbrechen gegen die Palästinenser zu erfahren, für die sie direkt oder indirekt verantwortlich sind, werden die palästinensischen Teilnehmer über den Holocaust unterrichtet, für den sie weder direkt noch indirekt verantwortlich sind – eine Erklärung dafür, warum die Deutschen bereit sind, die Veranstaltungen zu finanzieren.“

 Als deutsches Team des Projekts waren wir zutiefst bestürzt über die Darstellung als „gutes Beispiel“ für ein Normalisierungsprojekt und haben uns daraufhin ans BIP gewandt um über den Vorwurf ins Gespräch zu kommen.

Wir sind mit der Problematik der Normalisierung vertraut. Unsere palästinensischen und jüdisch-israelischen Partner*innen teilen mit uns die Überzeugung, sich nicht an Normalisierungsprojekten beteiligen zu wollen.

Die Realität zwischen jüdischen Israelis und Palästinenser*innen in Israel/Palästina ist nicht normal, sondern menschen- und völkerrechtswidrig, schmerzhaft, gewaltvoll – und von einem Machtgefälle geprägt. Aktivitäten, die das verschleiern, sind nicht unsere. Doch ein wichtiger Faktor, der den „Status quo“ stabilisiert, ist die Trennung der Betroffenen, sind getrennte Lebenswelten und Narrative, die suggerieren, es könne nichts verändert werden. Veränderung braucht vor Ort Menschen, die informiert, motiviert und ermutigt sind, Widerstand zu leisten (Co-Resistance kommt nicht von selbst).

Eingeladen werden die Teilnehmenden zu einem intensiven Prozess des Dialogs und des Lernens über ihre Situation, die von völlig gegensätzlichen Wahrnehmungen der Realität geprägt ist.

Begriffe wie „Konflikt“, „Besatzung“, „Terror“, „Apartheid“ und die Ablehnung von „Normalisierung“ werden diskutiert. Die Dialoge werden von unseren israelischen und palästinensischen Partner*innen gestaltet. Die Machtasymmetrien und Privilegien sind zentraler Gegenstand des Dialogs. Palästinensisch-israelische Moderator*innen-Tandems unterstützen die Gruppen darin, sich mit der Realität zu konfrontieren und z.B. verschleiernden Sprachgebrauch zu überprüfen. Es geht bei der Begegnung im Gegensatz zu anderen Projekten, die sich ebenfalls als „Dialogprojekte“ bezeichnen, nicht um Versöhnung oder freundschaftliches Miteinander, es geht um Erkenntnis und Wachstum, das für viele Teilnehmende (Israelis und Palästinenser*innen) in die Entschlossenheit mündet, sich gegen die bestehenden Machtverhältnisse zu wehren.

Ein Punkt, an dem das Projekt von den im Newsletter des BIP zitierten Forderungen des BDS-Nationalkomitees  (in Bezug auf die Teilnehmenden) abweicht, ist die Tatsache, dass für die Teilnahme der jüdischen Israelis kein vorheriges Bekenntnis zu den Rechten der Palästinenser*innen verlangt wird. Das Ziel, junge Erwachsene, die bisher auf das einseitige Narrativ ihrer Schulen, Elternhäuser und öffentlichen Medien beschränkt waren, für diese Rechte und Forderungen zu öffnen, würde durch eine solche Vorbedingung unerreichbar und ist deshalb unserer Ansicht nach für unsere Programme nicht sinnvoll. Die Partner*innen, die das Projekt gestalten, verstehen ihre Arbeit als gemeinsamen Widerstand.

Dass die „Unterrichtung“ der palästinensischen Teilnehmenden über den Holocaust dem Lernen über Besatzung und Menschenrechtsverletzungen entsprechend zentral sei, ist irreführend und in dieser Form unwahr.

Die Teilnehmenden sprechen hauptsächlich miteinander. Der von unseren Partner*innen genutzte politisch-narrative Dialogansatz strukturiert den Dialog entlang der persönlichen Geschichten, der Familiengeschichten der Teilnehmenden und dem nationalen historischen Narrativ der jeweiligen Gruppen. Im israelischen Narrativ und in einigen Familiengeschichten spielt der Holocaust eine Rolle, ebenso wie Kriege, die israelische Staatsgründung, Einwanderungsgeschichten u.v.m. Umgekehrt sind Geschichte und Gegenwart der Nakba, Flucht, Vertreibung und täglich erfahrenes Unrecht zentral in den palästinensischen Narrativen. Die Erfahrung des Holocaust ist für die israelische Gesellschaft prägend, sowohl als reale Traumatisierung, die bis heute wirkt, als auch im politischen Diskurs, der das Thema nicht selten für politische Zwecke instrumentalisiert.

Für palästinensische Teilnehmende ist oft ebenso wichtig, zu erfahren, inwieweit die Schoah, die Katastrophe der Jüdinnen und Juden, tatsächlich geschehen, ob sie erfunden, oder übertrieben dargestellt sei, wie gleichzeitig klarzustellen, dass es nicht Aufgabe der Palästinenser*innen sein kann, deren erlittenes Unrecht auszugleichen und die Konsequenzen daraus zu erleiden. Das Thema auszuklammern, wenn es um die Gründung des Staates Israel und seine Taten geht, kann kein realistisches Bild ergeben. Gleichzeitig ist es ein Thema unter vielen anderen relevanten Aspekten (Flüchtlinge, die Mauer, Selbstmordattentate, Jerusalem-ID, Westjordanland, Gaza usw.), über die Teilnehmende im Seminar ebenso „unterrichtet“ werden, beziehungsweise einander unterrichten.

Viele Palästinenser*innen prüfen vor der Teilnahme kritisch, ob das Projekt Raum für die Einforderung ihrer Rechte bietet, oder ein Normalisierungsprojekt ist. Dies tun sie zuvorderst aus eigener Überzeugung. Gleichzeitig sehen sich Mitarbeitende und Teilnehmende mit der Gefahr konfrontiert, unter Normalisierungsverdacht gestellt, diffamiert und bedroht zu werden – und zwar völlig unabhängig davon, wie sie selbst das Projekt bewerten oder ob das Projekt tatsächlich ein Normalisierungsprojekt ist, oder nicht. Leider dient das Konzept der Normalisierungskritik nicht nur der Schärfung der Sinne für evtl. kontraproduktiven Aktivismus und den Widerstand schwächende „Unterstützung“ aus dem Ausland, sondern oft auch der internen Repression gegen Andersdenkende.

Last but not least: Nicht „Deutschland“ finanziert das Projekt, sondern eine Vielzahl von (häufig langjährigen) Privatspender*innen, deren Motivationen sicherlich vielfältig sind. Viele von ihnen schätzen das Projekt, weil es nichts beschönigt und stetig von den Partner*innen lernt; weil es sich solidarisch an der Seite derer sieht, die – über Grenzen hinweg – in ihrer Lebensrealität etwas in Richtung Gerechtigkeit und echtem Frieden bewegen wollen.

Es lässt sich mit Sicherheit trefflich darüber streiten, welche Aktivitäten und Aktionen am besten geeignet sind, die Besatzung zu beenden und auf welcher Ebene mit welchen Mitteln gehandelt werden muss. Wir sind überzeugt, dass zivilgesellschaftliche Intervention auf verschiedensten Ebenen notwendig ist – das Projekt interveniert auf Graswurzelebene bei jungen Erwachsenen. Das mag der eine oder die andere nicht für die prioritäre und effektivste Ebene halten, dies bedeutet jedoch nicht, dass es sich um Normalisierung handelt. Von dieser Zuschreibung distanzieren wir uns ausdrücklich und danken dem BIP für die Gesprächsbereitschaft.

 

Katharina Ochsendorf und Tessa Pariyar

Koordinatorinnen des Projektes

Schulamith Weil

Mitglied des Koordinationskreises

Projekt Ferien vom Krieg – Dialoge über Grenzen hinweg