Bereits 2020 begann der Kreis der Haupt- und Ehrenamtlichen von Ferien vom Krieg, den Projektnamen zu überdenken.
Wie in unserem letzten Jahresbericht geschildert, führt der Titel „Ferien vom Krieg“ immer wieder zu Verwirrung oder gar Irritationen, insbesondere bei Menschen, die das Projekt als Interessierte neu kennenlernen oder erstmals an Dialogseminaren oder Jugenddialogbegegnungen teilnehmen. Zudem spiegelt er längst nicht mehr den Kern unserer Arbeit wider, suggeriert er doch, es ginge dem Projekt vorrangig darum, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gemeinsame Freizeit oder ein lockeres Kennenlernen zu ermöglichen.
War der Ferienaspekt vielleicht in den Anfangsjahren der Kinderfreizeiten ein zentrales Element, ist in beiden Projektregionen der ernsthafte und oft herausfordernde politische Dialog, die Begegnung mit der „anderen“ Seite oder gar den „anderen“ Seiten immer mehr ins Zentrum unserer Arbeit gerückt.
Zudem ist es die Intention des Projekts, junge Menschen zu ermutigen und zu befähigen, ein kritisches Bewusstsein für die politische Realität, in der sie leben, zu entwickeln. Nicht gegen, sondern gemeinsam mit den vermeintlichen „Feinden“ erlangen sie ein tieferes, neues Verständnis ihrer politischen und gesellschaftlichen Situation und ihrer eigenen, wie auch der „Anderen“ Betroffenheit und Standpunkte.
Nicht zuletzt werden sie regelmäßig bestärkt und inspiriert, selbst für politische und gesellschaftliche Veränderung hin zu einem friedlichen Miteinander in Gerechtigkeit aktiv zu werden.
Wir gelangten also zu der Überzeugung, dass es an der Zeit ist, der aktuellen Arbeit des Projekts auch in einem neuen Projektnamen besseren Ausdruck zu verleihen.
Diese Erkenntnis war allerdings der einfache Teil auf dem Weg zu einem neuen Namen für Ferien vom Krieg. Die große Herausforderung bestand darin, der facettenreichen Arbeit des Projekts mit einem neuen Namen Rechnung zu tragen, etwas Griffiges, Spannendes zu wählen, eine Kontinuität und Bezug zum bisherigen Namen herzustellen und noch vieles mehr.
Vor allem sorgte diese gemeinsame Suche für einen Moment der Besinnung und der Reflektion von Werten, Prinzipien, Anspruch und Zielen des Projekts dreißig Jahre nach seiner Gründung. Das war nicht die ursprüngliche Absicht, jedoch ein schöner und wichtiger Prozess.
Nach unzähligen Gesprächsrunden mit langjährigen Aktiven, Kolleg*innen des Grundrechtekomitees und Partner*innen in den beiden Projektregionen und gründlichem Überlegen steht nun fest: „Ferien vom Krieg – Dialoge über Grenzen hinweg“ wird zu „Wi.e.dersprechen – Dialoge über Grenzen hinweg“.
Den Kern unserer Arbeit macht seit vielen Jahren die politische Dialog- und Begegnungsarbeit über physische, politische und emotionale Grenzen hinweg aus, sodass der Slogan „Dialoge über Grenzen hinweg“ weiterhin gilt.
Warum also jetzt „Wi.e.dersprechen“?
Im Wortspiel mit dem Verb „widersprechen“ und den Worten „wieder sprechen“ stecken die wichtigsten Elemente des Projekts. Einmal geht es darum, in Kontexten, in denen nur allzu oft konflikthafte gesellschaftliche und politische Themen der Vergangenheit und Gegenwart totgeschwiegen, tabuisiert oder in populistischer medialer und politischer Meinungsmache verzerrt und feindselig aufgeladen werden, wieder miteinander zu sprechen.
Von den oft regelrecht dämonisierten „Anderen“ persönlich zu hören, mit ihnen Erfahrungen und Standpunkte auszutauschen, Verständnis zu entwickeln und die eigenen Gefühle und Positionen zum Ausdruck zu bringen – also auch selbst (wieder) das Wort zu ergreifen.
Gleichzeitig ist schon die Entscheidung, in politischen Dialog mit den anderen Seiten zu treten und diesen Dialog aktiv zu gestalten, ein Akt des Widersprechens, ein Akt des Widerstands und ein Akt des politischen Aktivismus.
Es ist ein Widersprechen gegen eine politische Realität, die nur Freund*innen oder Feind*innen kennt. Gegen sich endlos fortsetzende Kreisläufe aus Gewalt und Populismus, gegen das Primat politischer und ökonomischer Interessen vor Frieden und Gerechtigkeit. Nicht zuletzt ist es ein Widersprechen gegen die stereotype Entmenschlichung der „Anderen“ und so auch ein Wieder-Sprechen mit den „Anderen“ als Menschen mit Gefühlen, Ängsten, Hoffnungen und Bedürfnissen.
Dieser widerständige Kontrapunkt, den die Dialoge und Begegnungen setzen, findet seine Fortsetzung im eigenen politischen Engagement der Teilnehmenden, zu dem sie die Begegnungen nicht selten motivieren.
Doch egal, ob die Teilnehmer*innen in der Folge selbst politische Aktivist*innen werden, oder ob sich das Widersprechen – und auch das Wieder-Sprechen – vor allem in den Dialogbegegnungen selbst und als innere Prozesse der jungen Menschen vollziehen, immer löst das Zusammentreffen mit den „anderen“ Perspektiven mindestens eine Auseinandersetzung mit eigenen Gefühlen, Haltungen, Vorurteilen und Wünschen nach politischer Veränderung aus und deckt eigene innere Widersprüche ebenso auf, wie Widersprüche zwischen wohlbekannten, gelernten Narrativen und anderen Wahrheiten.
So steht für uns „Wi.e.dersprechen – Dialoge über Grenzen hinweg“ genau für das, was wir als Projekt bereits seit vielen Jahren tun und was heute mehr denn je unsere Überzeugung ist: über die Schaffung von Räumen politischen Dialogs jungen Menschen zu ermöglichen, zu widersprechen und wieder zu sprechen, aktiv Perspektiven für eine andere, friedliche Zukunft zu entwickeln und sich gemeinsam auf den Weg dorthin zu machen.