Bereits in unserem Jahresbericht 2019 hatten wir ausführlich über die spannende Nachfolgearbeit der Partnerorganisation berichtet, mit der wir 2018 das Allgenders-Seminar organisierten. Nachdem wir in regelmäßigem Kontakt geblieben sind, haben wir uns entschieden, ab 2021 in eine langfristige Partner*innenschaft einzusteigen. Kern ihrer Arbeit ist der Trialog zwischen jüdischen Israelis, Palästinenser*innen aus dem Westjordanland und Palästinenser*innen mit israelischer Staatsangehörigkeit; sie arbeiten vornehmlich mit theater- und medienpädagogischen Ansätzen in zumeist zweijährigen Programmen. Im Gespräch berichten die Koordinator*innen Karim A.* (Palästina) und Sarah T.* (Israel) (Namen geändert) über die aktuelle politische Situation und ihre Pläne für die Partner*innenschaft mit Ferien vom Krieg.

Ferien vom Krieg: Wie schätzt ihr die aktuelle politische Situation ein und inwieweit beeinflusst sie eure Arbeit als Organisation?

K.A.: Besonders in den jetzigen Pandemiezeiten schaut die Welt nicht nach Palästina – es gibt deutlich mehr Festnahmen, Abrisse von Häusern, Schüsse auf Landwirt*innen und mehr Räumungen ganzer Gemeinden, insbesondere im Jordantal. Eine extreme Siedler*innenorganisation, die bereits seit Jahren Angriffe auf Palästinenser*innen macht, ist jetzt aggressiver und besser organisiert als je zuvor. Wegen der vermehrten Aggressionen der israelischen Armee und der Siedler*innen haben die Menschen, die sich zwischen den Städten bewegen und israelische Kontrollpunkte passieren müssen, jetzt noch mehr Angst. Zudem wachsen Wut, Frustration und die Ablehnung von Treffen mit Israelis.

Die sogenannten „Friedensabkommen“ Israels mit arabischen Staaten erzeugen bei den Palästinenser*innen das Gefühl, betrogen und allein gelassen worden zu sein. Durch die Abkommen fühlt Israel sich ermutigt, noch mehr Land zu besetzen und in Palästina wächst die Verzweiflung, da die Unabhängigkeit immer unwahrscheinlicher und Ängste vor einer Annektierung durch Israel immer realer werden.

Die Pandemie hat einmal mehr die Abhängigkeit Palästinas von Israel augenfällig gemacht und den Staat weiter geschwächt: Weniger Menschen konnten nach Israel einreisen, um ihrer Arbeit nachzugehen und umgekehrt kamen viel weniger Israelis zum Einkaufen ins Westjordanland – ein großer Faktor für die palästinensische Wirtschaft.

Jenseits der generellen gesellschaftlichen Situation bedeutet all das für unsere Arbeit, dass die Teilnehmenden unserer Programme quasi keine Möglichkeit hatten sich weiter zu treffen – Treffen, bei denen Gefühle in konstruktive Aktionen übersetzt hätten werden können. Nicht zuletzt bewirkt die politische Entwicklung, dass es für Jugendliche und junge Erwachsene auch aufgrund von Diffamierungen und Ablehnung durch Familie und Freund*innen noch schwieriger geworden ist, an unseren Programmen teilzunehmen.

FvK: Sarah, wie sieht die Lage in Israel aus?

S.T.: Grundsätzlich ist die israelische Öffentlichkeit nicht an der palästinensischen Öffentlichkeit interessiert. Das ist das Ergebnis eines Narrativs, dass Palästinenser*innen seit jeher als homogene Gruppe darstellt, die „uns“ zerstören will, weil wir Juden und Jüdinnen sind und die seit 1947 unsere „großzügigen Friedensangebote“ ablehnt. Gerade jetzt in der Pandemie könnte die Situation Palästinas den „durchschnittlichen jüdischen Israelis“ kaum gleichgültiger sein.

Der israelische Mainstream hat die Normalisierung der Beziehungen mit einigen arabischen Staaten wohlwollend akzeptiert, ohne die politischen Motivationen dahinter zu verstehen. Verbindungen Netanjahus mit anderen politischen Führern werden pauschal als Erfolg verbucht, egal, ob es sich dabei um brutale Diktatoren handelt, die israelische Waffen und Sicherheitstechnologie zur Unterdrückung ihrer Bevölkerungen nutzen.

Netanjahu ist mit seinem Korruptionsprozess beschäftigt und seine Unfähigkeit, das Land vernünftig zu regieren, führt dazu, dass die Infektionszahlen trotz der Impfkampagne weiterhin sehr hoch sind, das Bildungssystem seit nunmehr einem Jahr kaum funktioniert und viele Menschen in finanzielle Krisen geraten sind. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf.

Die Wut über all das verursachte eine große Protestwelle im ganzen Land, die vierte Wahl innerhalb von zwei Jahren ist für mich keine erfreuliche Perspektive. In all diesen politischen Wirren werden Dialoge mit Palästinenser*innen bestenfalls als unwichtig wahrgenommen, schlimmstenfalls als anti-patriotischer Verrat.

Auf der anderen Seite gibt es einen kleinen, engagierten Kreis von Aktivist*innen, die die Hoffnung auf ein Ende der Besatzung nicht aufgeben und trotz der Krisen weiterarbeiten, das tun, was eben gerade getan werden kann und mehr tun wollen, sobald Covid-19 vorbei ist.

Wir bleiben in Kontakt mit Teammitgliedern und ehemaligen Teilnehmenden und werden 2021 nutzen, um unsere Programme auch mit Blick auf die veränderten politischen Rahmenbedingungen auszuwerten und weiterzuentwickeln. Wir wollen unser Team erweitern und Moderationsworkshops organisieren, um dann 2022 wieder durchzustarten. Wir bekommen stetig Anfragen von jungen Menschen, die von unseren Programmen gehört haben und mitmachen wollen, auch jüngere Geschwister ehemaliger Teilnehmender melden sich und wollen einsteigen.