Während der Begegnung in Medena im Sommer 2021 entstand eine Sammlung von Geschichten über Menschen, die sich während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien und auch in der Gegenwart, Nationalismus, Feindschaft und Hass entgegenstellten und den vermeintlich „Anderen“, über ethnische Grenzen hinweg, geholfen haben. Die Geschichten, die teils von Nachbar*innen, Familienangehörigen oder Lehrer*innen der Teilnehmer*innen handeln, wurden im Nachhinein von ihnen aufgeschrieben.

Im dritten Teil unserer Serie erzählt Naima aus Gornji Vakuf-Uksoplje eine Geschichte.

Aus einer lang vergangenen Zeit, inmitten des Kriegs und dem Chaos, das er mit sich bringt, erzähle ich Euch die Geschichte eines Mannes, der nicht zuließ, dass sein Zorn sein Leben bestimmte, sondern sich von den Gesetzen der Menschlichkeit leiten ließ. In Gornji Vakuf, das damals noch nicht den Zusatz Uskoplje trug, kämpfte er als Kommandeur der Armee von Bosnien-Herzegowina, um sein Leben, seine Heimat und seine Leute zu verteidigen. Aber der Krieg macht keine Ausnahmen, sondern zerstört auch das Leben der Besten. Und so verlor dieser Mann, von dem ich erzähle, sein Haus: eine Granate traf es und zerstörte alles, was er s viele Jahre lang aufgebaut hatte. Ein Haus kann repariert oder ersetzt werden, doch sein Körper erlitt einen viel schwerwiegenderen Schaden – er verlor sein Bein.

Manchmal kann ein falscher Schritt fatale Konsequenzen für den Rest eines Lebens haben, in diesem Fall bedeutete er, ein Bein aus Plastik zu bekommen. Aber das Unglück begnügte sich nicht damit, dass unser Held auf eine Mine getreten war und sein Bein zu verloren hatte, der Heilungsprozess unter Kriegsbedingungen war eine einzige Agonie. Nach langen Monaten des Leidens konnte er endlich in seine Heimat zurückkehren. Die Umstände waren immer noch schwierig, aber nichts, womit er nicht fertig werden konnte. An einem schönen, sonnigen Tag bemerkte er Tumult und Lärm vor seinem Haus und hinkte auf seinen Krücken hinaus, um zu sehen, was los war. Soldaten der Armee von Bosnien-Herzegowina trieben eine Gruppe Soldaten der „anderen Seite“ vorbei und ihr Verhalten gegenüber ihren Gefangenen konnte nur als Folter beschrieben werden.

Mit Schmerzen und den ungewohnten Krücken kämpfend, erreichte er den Ort, wo die Gefangenen misshandelt wurden. Als er ankam, hielten alle inne und begrüßten ihn, schließlich war er der Anführer ihrer Truppe gewesen, und sie sahen ihn nach seiner Verwundung zum ersten Mal wieder. Obwohl er jeden Grund hatte, wegen seiner Verletzung Wut und Hass gegenüber den Gefangenen zu empfinden, befahl der Held dieser Geschichte sofort, die Misshandlungen der Gefangenen einzustellen. Auch im Krieg gibt es Gesetze, die befolgt werden müssen, dazu gehört auch die anständige Behandlung von Kriegsgefangenen. Menschlichkeit ist nicht verhandelbar und muss unter allen Umständen gewahrt werden.