Im Rahmen des „Open Space“ organisieren Teilnehmerinnen selbst Workshops zu Themen, die ihnen wichtig sind. Ahlam D.* und Noah A.*, eine palästinensische und eine israelische Teilnehmerin, organisierten gemeinsam einen Workshop zum Thema religiöse Kopfbedeckungen. Im Gespräch mit Laura Kotzur teilen sie ihre Erfahrungen und ihre persönlichen Sichtweisen auf das Thema Kopfbedeckungen mit ein Thema, dass bei den Seminaren immer wieder kontrovers diskutiert wird.

L.K.: Wie hat euch der Workshop gefallen? Was waren eure Erfahrungen?

Noah A.: Ich fand es super. Ich denke, der Gedanke, die Haare zu bedecken, hat in beiden Religionen den gleichen Hintergrund, aber wie wir dies als Individuen ausführen, ist von Person zu Person unterschiedlich. Für mich geht es nicht um Bescheidenheit. Und auch das Alter ist anders. Für uns ist es der Zeitpunkt der Heirat, wenn du anfängst, deine Haare zu bedecken. Für Muslim*innen ist es sozusagen das Frauwerden.

Ahlam D.: Tatsächlich wusste auch ich nichts darüber, wie Jüdinnen ihren Kopf bedecken, also war es auch für mich sehr interessant, mehr darüber zu erfahren. Es ist wirklich etwas anders als bei uns. Im Islam fangen wir an, Hijab zu tragen, wenn wir erwachsen werden, unsere Periode bekommen. Aber das Mädchen muss nicht, sie ist frei darin, zu entscheiden. Was mich angeht, habe ich nur so auf meine Periode gewartet, damit ich endlich Hijab tragen kann. Ich wollte unbedingt Hijab tragen. So richtig kenne ich den wahren Grund nicht, aber das Bedürfnis kam von ganz tief drinnen. Vielleicht, um mich besser zu fühlen, wer weiß, aber es war etwas tief in mir. Am Anfang war meine Familie dagegen. Sie sagten, nein mach‘s nicht, warte lieber vielleicht noch ein weiteres Jahr. Und ich sagte aber, nein, ich bin bereit dafür. Ich habe die Entscheidung für mich getroffen und bereue es nicht. In dem Workshop erzählte ich, dass ich auch damit tun kann, was immer ich will. Mein Hijab ist nichts, was mich daran hindert, irgendetwas zu tun. Es ist nur ein Stück Stoff und ich kann damit machen, was ich will. Wir haben viele Stoffe und viele Farben und können jeden beliebigen Stil wählen. (…)

N.A.: Auch für mich war es immer nur eine Sache für ältere Frauen, weil meine Großmütter ihre Haare bedeckten und meine Mutter nicht. Also dachte ich, dass es nur eine alte Tradition war. Aber als ich älter wurde und mit 17 Jahren die Highschool beendete, fing ich an, mich damit auseinandersetzen und ein langer Denkprozess begann. Als ich heiratete, entschied ich, dass ich mein Haar bedecken möchte, aber nicht aus Bescheidenheit, denn mein Haar ist nicht unanständig. Es geht nicht um die Männer, sondern um mich und meine Verbindung zu Gott. Es ist eine religiöse Sache. Also beschloss ich, meine Haare zu bedecken, aber ich zeige meinen Pferdeschwanz. Und auch religiöse Männer bedecken ihre Haare auf eine Weise, wie zum Beispiel mit der Kippa. Das ist ein kleines Stück Stoff auf dem Kopf. Ultraorthodoxe tragen samtene Kippa oder einen Hut. Es gibt also ganz unterschiedliche Arten der Kopfbedeckung. Aber im Allgemeinen ist die Idee, deinen Kopf zu bedecken oder etwas auf deinen Kopf zu legen, einfach die, dass du noch etwas über dir hast. Du bist nicht das Größte auf der ganzen Welt, wie wir manchmal denken würden. So ist es auch für mich. Und weil ich in einer säkularen Umgebung lebe, selbst mein Mann ist nicht religiös, fungiert es auch als eine Erinnerung an mich selbst. Ich bin religiös und habe es gewählt. Es trägt viel zu meinem Wohlbefinden bei, aber es ist auch eine Verantwortung.

A.D.: Also ich denke, ich teile die gleiche Idee. Es ist ein religiöses Zeichen. Ich zum Beispiel, gebe Männern nicht die Hand, so wissen sie das auch von Weitem. Es ist ein klares Zeichen, dass ich eine religiöse Person bin und ich fühle mich so viel wohler.

N.A.: Ja, es setzt Grenzen. Ich gebe zwar anderen Menschen die Hand und habe sogar auch dieses Jahr angefangen, andere zu umarmen, aber eben nur mit engen Freunden. Aber zunächst mal wissen sie, dass es eine ganz besondere Sache für mich ist. Selbst wenn ich sie umarme, sitzen sie nicht zu nah neben mir und ja, es macht es einfach sehr deutlich, dass ich die Grenzen dort setze, wo ich sie haben möchte.

A.D.: Es ist eine sehr höfliche Art, Nein zu Jungs zu sagen. (…)

N.A.: Aber ich muss sagen, dass ich auch manchmal meine Kämpfe habe. Weil meine Beziehung zu Gott eben auch wie jede andere Beziehung ist. Sie hat ihre Höhen und Tiefen und manchmal habe ich das Gefühl, nicht die richtige Entscheidung getroffen zu haben;  und dann wiederum bin ich super zuversichtlich. Aber das ist etwas, das ich immer in mir behalten werde. Ich weiß nicht, was in fünf Jahren sein wird, aber in den letzten vier Jahren, seit ich verheiratet bin, ist es etwas, worauf ich sehr stolz bin.

A.D.: Ich habe auch meine Kämpfe. Weil wir unter der Besatzung leben, habe ich oft Probleme. So kann ich mit Hijab unmöglich in viele ihrer [der Israelis] Gebiete gehen und dann ziehe ich es vor, niemals dorthin zu gehen. Zum Beispiel teilen wir uns theoretisch den gleichen Zug in Jerusalem, aber ich würde nie diesen Zug nehmen. Ich kann mich nicht wohl oder sicher in dem Zug fühlen, wenn ich Hijab trage und sie dadurch sofort erkennen würden, dass ich Araberin bin. Und auch hier in Europa können sie mich sofort erkennen. Es ist ein starkes Symbol und sie denken dadurch, dass sie meine Identität schon kennen, noch bevor sie jemals mit mir gesprochen haben.

N.A.: Ich teile diese Erfahrung nicht und es tut mir leid, dass du sie durchmachen musst. Aber ich weiß, wovon du sprichst. Es offenbart Vorurteile bei Anderen. Bei mir denken viele Leute, dass ich politisch extrem rechts eingestellt bin oder Araber*innen hasse, weil ich meine Haare bedecke. Aber es ist eben auch meine Entscheidung, Hosen zu tragen, was in der religiösen Gesellschaft wiederum nicht akzeptabel ist. Normalerweise trägst du entweder Kleid oder Rock.

L.K.: Hast du also auch mit Vorurteilen zu kämpfen?

N.A.: Nun, ich bin Musikerin und kam zu dieser neuen Band. Eines der Bandmitglieder ist schwul und er hatte tatsächlich große Angst davor, dass eine religiöse Frau der Gruppe beitreten würde. Er dachte, ich würde ihn hassen und seine Anwesenheit in der Gruppe als inakzeptabel empfinden. Es brauchte drei Bandproben, um klarzumachen, dass das nicht so ist und vor allem auch nichts mit Religiosität zu tun hat. Ich hasse weder homosexuelle Menschen noch Menschen überhaupt!

A.D.: Wenn andere Menschen dich im Hijab sehen, entscheiden sie sofort über deine Gedanken, deine Vorstellungen und deinen Glauben. Solche Vorurteile wie sie mag keine Schwulen und so weiter. Ich kenne das auch. Nur weil du Hijab trägst, bestätigt das für sie das Bild, das in ihre Vorstellung von dir passt.

N.A.: Es ist bevormundend! Ihr kennt die Kultur nicht, ihr kennt die Menschen nicht. Aber das ist genau das, was viele westliche weiße Menschen tun: Sie denken, „wir haben die schlausten Gedanken und werden sie euch aufzwingen.“ Und ich sage damit nicht, dass es nicht auch sein kann, dass die  Kopfbedeckung unfreiwillig getragen wird. Natürlich gibt es das. Es kann durch Unterdrückung und Gewalt geschehen, aber das kann nicht von außen gelöst werden, sondern immer nur von innen heraus.

L.K.: Wie haben die Teilnehmerinnen auf das, was ihr mit ihnen geteilt habt, reagiert?

N.A.: Es war sehr interessant. Ich hatte das Gefühl, dass sie mit der sehr westlichen Idee, dass das Bedecken des Haars ein Ausdruck von Unterdrückung ist, zu uns kamen und dann im Laufe des Workshops zu mehr Akzeptanz gelangt sind und es nicht einfach nur grundlos ablehnen. In meiner Religion sind es sowohl Frauen als auch Männer, die ihren Kopf auf unterschiedliche Weise bedecken. Für mich entspringt das also dem gleichen Grund, aber ich spreche dabei nur für mich selbst.

L.K.: Selbstverständlich.

N.A.: Nein, eben nicht! Genau das ist es, was die Leute tun. Sie hören einer Person zu und denken dann: Oh, alle jüdischen Frauen sind so! Aber es gibt so viele Arten von Kopfbedeckungen. Einige Frauen tragen eine Perücke, andere bedecken ihr gesamtes Haar mit einem Turban und wieder andere bedecken nur einen Teil und viele tragen überhaupt keine Haarabdeckung und sind dennoch religiös.

A.D.: Ja, hier ist es das Gleiche. Viele Frauen sind religiös, aber sie tragen keinen Hijab. Es geht nur um die Beziehung zwischen Gott und der Person.

N.A.: Das Seminar verändert das ganze Leben. Ich habe das Gefühl, dass die Art und Weise, wie ich denke und rede, dass ich mich in den letzten zwei Wochen sehr verändert habe. Ich glaube nicht, dass ich noch die gleiche Person bin. Meine Vorstellungskraft ist jetzt größer und mein Spektrum des Möglichen hat sich deutlich erweitert. Ich denke, den Schmerz in einer anderen Person zu sehen und ihn gemeinsam zu fühlen, ist nicht so, als würde man davon in der Zeitung lesen. Ich denke, die persönliche Erfahrung ist die Wichtigste. Leider haben wir zu Hause dazu nicht die Möglichkeiten. Wir treffen uns vielleicht mal im Zug, aber dann ist es wie immer: Oh, sie trägt Hijab und oh, sie bedeckt ihre Haare. Und wir sprechen nicht mit einander. Das bringt also nichts.