Ein Teil von mir wird sich für die Lösung des Konflikts engagieren, bis er beendet ist

Keren (*Name geändert) wuchs im Norden Israels auf und lebt nun in Tel Aviv. Sie bezeichnet sich selbst als jemanden mit einem ziemlich normalen israelischen Lebenslauf. Nach ihrem 2-jährigen Militärdienst studierte sie Recht und Wirtschaft und zur Zeit Grafikdesign. Barbara Esser erzählte sie, wie das Seminar ihr Verhältnis zum israelischen Staat verändert und sie motiviert hat, selbst aktiv zu werden.

B.E.: Was waren Deine Erwartungen, als Du hierher kamst? Welche Einstellung hattest Du und was war der Grund für Deine Teilnahme?

Keren R.: Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern war mir schon immer ein großes Anliegen. Ich habe mich schon immer sehr um die palästinensische Bevölkerung gesorgt und mir gedacht, dass irgendwas in diesem Konflikt falsch läuft. Als ich von dem Projekt hörte, dachte ich mir, dass dies eine großartige Gelegenheit ist, Palästinenser zu treffen, da wir sonst dazu nie die Chance haben.

B.E.: Kannst Du etwas über Deine Erfahrungen im Seminar erzählen?

K.R.: Während der ersten Tage war ich sehr unsicher. Ich dachte, ich wäre offen für andere Meinungen, aber ich merkte, dass ich dies eigentlich überhaupt nicht war. Als ich vom Leid der Palästinenser hörte, wollte ich die ganze Zeit Israel verteidigen und beschützen. Ich dachte und sagte Dinge wie: „Ok, ja, ihr leidet, aber wir leiden auch unter dieser Situation”. Doch nach ein paar Tagen wurde mir bewusst, dass es überhaupt keinen Sinn machte, das eigene Leiden zu vergleichen und gegeneinander aufzuwiegen. Das war die eine Erfahrung, die andere ist noch stärker. Ich werde wirklich mit einem schweren Stein in meinem Herzen nach Hause fahren. Es ist, als ob alles, was ich je gelernt habe, nicht unbedingt eine Lüge ist, aber eine extrem limitierte Sichtweise, auf der mein bisheriges Leben basierte. Durch das Seminar realisiere ich nun, dass die Geschichte Israels und Palästinas sehr viel vielschichtiger ist, als ich dachte. Dadurch sehe ich manche Dinge jetzt anders und bin motiviert, mich mehr zu engagieren als bisher.

B.E.: Kannst Du das etwas konkretisieren? Gibt es eine bestimmte Situation, die das verdeutlicht?

K.R.: Der Wendepunkt für mich war, als die Palästinenser ihre Geschichte in Form einer Ausstellung gezeigt haben. Für mich war das eine der beeindruckendsten Ausstellungen, die ich je gesehen habe. Es war sehr emotional. Ich ging durch den Ausstellungsraum mit einem Gefühl, das in mir die Frage auslöste: „Wie kann es sich Israel erlauben, so zu handeln? In wessen Namen? Wir müssen das sofort beenden!” Ich spürte, wie mein Herz sehr schnell schlug und wie mir die Tränen kamen. In diesem Moment habe ich mich extrem schlecht gefühlt. Jetzt geht es mir wieder besser, aber zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich fast so, als könne ich in so einem schlechten Land nicht mehr weiterleben. Ich habe immer gedacht, dass Israel ein gutes Land ist und dass die Soldaten eben ihre Arbeit machen, aber dann fühlte ich mich sehr schlecht. Und auch in den Tagen davor, als ich die persönlichen Geschichten der Palästinenser hörte, hat sich etwas in mir verändert. Fast jeder hat uns erzählt, dass auf ihn geschossen wurde, oder dass ein Familienangehöriger im Gefängnis sitzt. Ich wusste nicht, dass die Situation so schlimm ist. Ich dachte, dass die Radikalen, die die Messer bei sich tragen, erschossen werden. Aber ich wusste nicht, dass das so oft passiert und manchmal sogar ohne guten Grund. Es gibt so viele unschuldige Opfer. Mir ist auch klar, weshalb dies geschieht. Ich weiß, dass die israelischen Soldaten in Panik sind. Sie sind wie blind. Sie sehen die Dinge nicht klar und objektiv. Sie denken immer, dass die Palästinenser sie umbringen wollen.

B.E.: Was nimmst Du von dem was hier passiert ist mit nach Hause?

K.R.: Die Motivation mich mehr zu engagieren, ich denke, dass ich hin und wieder zu Demonstrationen gehen werde. Ich arbeite in einem Museum über die Geschichte Israels und bin mir sicher, dass ich einige Punkte aus der Sichtweise der Palästinenser in meine Führung mit aufnehmen werde [Anmerkung der Redaktion: Keren gibt während ihrer Arbeit im Museum regelmäßig Führungen, auch für Gruppen von israelischen Soldaten]. Ich habe da meine Freiheiten. Ich muss natürlich bestimmte Dinge erwähnen, aber ich kann auch Eigenes hinzufügen. Ich werde mein Leben weiter leben, aber ein Teil von mir wird sich für die Lösung dieses Konflikts engagieren, bis er beendet ist.

B.E.: Wie wird es sein mit Deiner Schwester, die Offizierin bei der Armee ist, zu reden? Hast Du schon darüber nachgedacht?

K.R.: Mit ihr zu reden wird für mich eines der schwierigsten Dinge werden, weil sie vom Charakter her ganz anders ist als ich. Ich bin sensibler. Sie ist eine toughe Frau, ein bisschen Deutsch (lacht). Nein, war ein Scherz. Sie ist echt tough und sie glaubt wirklich an die Armee und ihre Werte. Sie ist der Meinung, dass die Armee immer korrekt agiert und so. Einmal in der Woche kann sie für 24 Stunden nach Hause kommen, und jedes Mal ist sie voll von Geschichten, wie mutig und toll die Offiziere und die Armee sind. Aber ich weiß, dass selbst die Tatsache, dass ich hier war und an diesem Seminar teilgenommen habe, Auswirkungen auf sie hat. Ich werde sie nicht sofort mit dem Kopf vor die Wand stoßen, aber ich möchte mit ihr sprechen, und ich werde einen Weg finden, Schritt für Schritt in vielen kleine Schritten.