Immer wieder schreiben Teilnehmer*innen unserer Begegnungen, dass sie dort Freund*innen fanden, die sie nie vergessen würden. Vanja Nedic erzählt die Geschichte von Emina, Johnny, Nicola, Semir und sich selbst; sie lernten sich 2007 und 2008 am Meer in Neum und bei den nachfolgenden Camps kennen. Bis heute sind sie eng befreundet und dem Projekt weiterhin verbunden: Emina Beganovic aus Tuzla (Bosnien-Herzegowina) unterstützte uns seit ihrem 13. Lebensjahr als Übersetzerin bei den Begegnungen in Neum, jetzt lebt sie in Deutschland und arbeitet im Koordinationskreis des Projektes mit. Vanja Nedic organisierte als sechzehnjährige die erste Gruppe, die aus Vukovar (Kroatien) nach Neum kam. Wie Johnny Mirkovic aus Vukovar und Semir Salihovic aus Tuzla begleitete sie mehrere Jahre Gruppen zu den Begegnungen, lebte eine Zeit lang in Polen und ist gerade nach Kroatien zurückgekehrt. Johnny Mirkovic arbeitet in Schweden und Semir Salihovic lebt in Sarajevo. Nikola Pilja aus Sombor (Serbien) unterstützt uns in allen IT-Angelegenheiten, lebte einige Jahre in Kuwait und jetzt wieder in Serbien.

(Text: Vanja Nedic) Seit Jahren ernte ich erstaunte Blicke, wenn ich einen Besuch oder ein Treffen absage, weil ich zu einem Skype-Treffen mit einer Gruppe von Freund*innen verabredet bin. Ich nenne diese monatlichen Treffen „Skype-Kaffeeklatsch“, obwohl wir niemals Kaffee trinken, da die Treffen immer vom Spätnachmittag bis in die Nacht dauern.

Kennengelernt haben wir uns als Jugendliche bei verschiedenen Camps von Ferien vom Krieg. Ich weiß nicht mehr, wann und wo genau, weil ich das Gefühl habe, wir kennen uns schon seit unserer Geburt, auf jeden Fall aber mehr als die Hälfte unseres Lebens. Wir sind alle Teil desselben Konflikts, kommen aber von verschiedenen Seiten. Das konnte uns allerdings nie daran hindern, uns zu lieben und in jeder Beziehung zu unterstützen. Die Corona-Pandemie 2020 konnte uns nur davon abhalten, am 1. Mai gemeinsam zu grillen oder christliche und muslimische Feiertage gemeinsam zu begehen.

Bei einem unserer Videotreffen hatte ich eine vielleicht befremdlich erscheinende Erkenntnis: Ich bin froh, dass die gesamte Welt jetzt so agiert wie ich. Das muss ich erklären: Wegen der Abstandsregeln und Corona-Beschränkungen mussten viele Leute ihre täglichen, wöchentlichen oder sogar jährlichen Treffen und Besuche absagen oder ins Netz verlegen.

Für mich ist das seit Jahren Normalität: Ich arbeite alleine und verkehre mit meinen Kolleg*innen online, ich lebe fern meiner Heimat, deshalb laufen die Kontakte mit meiner Familie und meinen Freund*innen über E-Mails und Video-Konferenzen. Ich gewöhnte mich langsam an dieses Leben, jetzt ist es ganz plötzlich für alle normal geworden.

Zu Beginn der Pandemie hatte ich zwei Gespräche mit zwei ganz unterschiedlichen Gruppen: Einmal waren meine Gesprächspartner*innen ältere Erwachsene, die nicht aus dem ehemaligen Jugoslawien stammten und die unter sehr viel besseren Umständen lebten als ich. Die anderen waren junge Erwachsene, die entweder den Krieg erlebt hatten, oder in Städten aufwuchsen, die vom Krieg gezeichnet waren. Was für ein Unterschied! Die älteren Erwachsenen waren so geschockt und pessimistisch und nicht vorbereitet auf die Herausforderungen der Pandemie.

Die Jüngeren waren nicht direkt optimistisch, aber sie reagierten anders: Wir haben viel Schlimmeres überlebt, wir schaffen auch das. Dieses gemeinsame Gefühl hilft uns in der Krise, wir halten zusammen und überwinden die Grenzen und große Entfernungen.

Inzwischen sind Online-Kontakte zu Freund*innen und Familie allgemein akzeptiert, wenn du sagst: „Ich kann nicht mit Dir zu der xyz-Aktivität kommen, weil ich ein Online-Treffen mit Freunden habe“, ist das okay. Dem war nicht so, als wir unsere Gruppen-Treffen begannen.

Als die Lockdowns anfingen, hatten wir mit unseren monatlichen Treffen, bei denen wir uns erzählen, was wir im letzten Monat erlebt haben und was wir Neues planen, ein jahrelang praktiziertes festes Ritual. Diese bedingungslose Unterstützung von Leuten, die die gleichen guten und schlechten Erfahrungen gemacht hatten und mich verstanden, gab mir Stabilität und Sicherheit. Versteht mich nicht falsch, wir sind sehr verschieden, mit unterschiedlichen Hoffnungen und Träumen. Was uns verbindet, ist die Unterstützung, die wir uns geben.

Die politische Lage in den Ländern des Balkans war immer ein Thema, ob wir es wollten oder nicht, besonders in diesem Jahr. Als die Lockdowns im Frühjahr losgingen, lebten wir in Bosnien-Herzegowina, Serbien, Deutschland, Polen und Schweden und wir verglichen die Situationen und die Reaktionen der Regierungen in unseren Heimatländern und unseren Gastländern. Dieser Informationsaustausch gehörte auch zur gegenseitigen Unterstützung. Für Reisen waren die unterschiedlichen Regelungen und Vorschriften ein Alptraum und der Austausch in unserer Gruppe war unverzichtbar. Wir helfen uns auch bei Fragen, die unsere Arbeit betreffen und geben uns Tipps. Da wir in unterschiedlichen Bereichen arbeiten, ist ein Blick von außen oft hilfreich.

Wir sind Kinder aus Kriegsgebieten, wir sind alle Vertriebene. In unserer Kindheit waren wir Flüchtlinge, jetzt sind wir Wirtschafts-Nomad*innen. Wir wanderten aus, aber unsere Verbindung überstand die Entfernungen, die Höhen und Tiefen unseres Lebens in verschiedenen Ländern und Städten. Wir bleiben Freunde. Das war schon immer so und wird auch so bleiben. Wir werden, wie bei den Camps, weiterhin zusammensitzen und bis tief in die Nacht hinein miteinander reden, lachen und Spaß haben.