Ein Netzwerk und seine Gesichter

Dina Jurcic

Diese Erfahrung werde ich in meinem Leben nie vergessen“, ist der Kommentar, den wir von Teilnehmer*innen unserer Begegnungen am häufigsten hören. Es macht uns immer wieder froh zu sehen, wie oft er sich bewahrheitet. Im August 2016 schrieb Dina Jurcic einen Kommentar auf der Facebook Seite von YU-Peace:
„Heute gab mir mein Chef den Auftrag, im Leseraum der Bücherei alle Ausgaben der Tageszeitung „Stimme Istriens“ vom 1. Juli bis 31. September 1991 durchzuschauen. Obwohl ich sie nicht lesen, sondern nur nach einigen speziellen Artikeln suchen sollte, trafen mich all diese grässlichen Überschriften, Bilder und Artikel wie eine Faust in den Magen. Und leider werde ich morgen damit weitermachen müssen, obwohl ich schon heute kaum die Kraft fand, mit den schrecklichen Erinnerungen, die diese Berichte heraufbeschworen, fertig zu werden.
Obwohl ich noch nie etwas auf diese Website gestellt habe und die meisten von Euch nicht kenne, habe ich nach diesem Tag das Bedürfnis, Euch zu sagen, wie froh ich bin, dass es Euch gibt. Ihr geht den Weg von Frieden, Einheit und Liebe. Ihr geht ihn da, wo es möglich ist, und bahnt ihn da, wo er noch nicht existiert. Ihr seid alle so stark, tapfer und wundervoll, das wollte ich Euch einfach sagen.“
Valerija Forgic, unsere Mitarbeiterin in Sombor, hatte jahrelang nichts mehr von Dina Juric gehört. Sie kontaktierte sie und bat sie um ihre Geschichte.
(Text: Dina Juric) Ich wuchs in Serbien auf, der Krieg fand nicht in unserem Land statt, und meine Eltern sprachen nie darüber. Ich wusste, dass es Krieg gegeben hatte, aber ich dachte, das ist lange her und wir sollten es am besten vergessen und nach vorne schauen. Aber dann kam ich 2005 zu einer Begegnung nach Neum, es war eine einzigartige Erfahrung, die großen Einfluss auf mein Leben hatte. Ich traf dort Jugendliche, die alt genug waren, sich an den Krieg zu erinnern, die Familienmitglieder in diesem Krieg verloren hatten. Kurz darauf kam ich zum ersten Mal nach Vukovar und sah die Häuserfassaden voller Löcher von Granatsplittern und Kugeln (obwohl das 15 Jahre nach Kriegsende war) und mir kamen die Tränen. Mir wurde klar, dass 15 Jahre gar keine so lange Zeit sind und dass wir den Krieg nicht einfach vergessen können. Erst müssen Wunden geheilt und Brücken gebaut werden, bevor wir vorankommen können. Vier Jahre später beendete ich die Schule in Sombor und beschloss, zum Studium nach Kroatien zu gehen. Ich war die einzige serbische Studentin dort (und jeder wusste das). Den Frieden aufzubauen, wie ich es in Neum gelernt hatte, wurde deshalb für fünf Jahre meine Hauptaufgabe.
Nach all meinen Erfahrungen bin ich davon überzeugt, dass wir Begegnungen und persönliche Beziehungen brauchen, um zu heilen, wieder aufzubauen, neu anzufangen. Wir Serben, Kroaten und Bosnier müssen uns treffen, unsere Erfahrungen und Gefühle austauschen und uns gegenseitig zeigen, dass wir anständige Menschen sind, mit der Fähigkeit zu Mitgefühl und Liebe.
An der Uni traf ich einen Mann aus Dubrovnik, der die Belagerung dieser Stadt im Krieg miterlebt hatte. Sein Vater kämpfte in der Armee und leidet seitdem unter PTBS (Posttraumatischem Belastungssyndrom). Wir begannen, Zeit miteinander zu verbringen und wurden gute Freunde. Eines Tages sagte er zu mir: „Mein Vater wäre gar nicht glücklich, wenn er von unserer Freundschaft wüsste. Ich muss Dir gestehen, ich wollte ursprünglich nicht einmal neben Dir sitzen. Aber ich beobachtete Dich und irgendwann wurde mir klar, dass Du ein ganz normales, nettes und großzügiges Mädchen bist. Ich bin froh, dass ich Dich getroffen habe. Vorher dachte ich, alle Serben wären Verrückte, die ständig bewaffnet herumliefen und alle anderen hassten.“