Tara B.*: Das Seminar für mich war eine der besten Erfahrungen überhaupt – und ich übertreibe nicht – das Seminar war sehr wichtig für mich. Ich habe in den letzten Tagen auch mit unserer Koordinatorin darüber gesprochen: Ich denke, dass ich vor dem Seminar wirklich egoistisch war, weil ich in Freiheit und Frieden leben wollte, wie jede*r andere in dieser Welt, aber ich habe nicht viel dafür getan, weil ich dachte, dass ich einfach in Frieden leben will und ich nichts dafür tun kann. Aber das Seminar hat in mir eine neue Vision hervorgebracht und jetzt will ich die Veränderung aktiv voranbringen. Es macht mir nichts aus, wenn ich mein ganzes Leben damit verbringen werde, an einer Veränderung zu arbeiten, denn das ist es, was ich tun will. Ich möchte in Frieden leben, aber ich möchte auch das Gefühl haben, dass ich …aktiv etwas tue, um dahin zu kommen. Das Seminar hat mir die Augen geöffnet, weil ich so viel gelernt habe auf persönlicher und professioneller Ebene; ich habe so viele Emotionen durchlebt – in Bezug auf den Konflikt und auf überhaupt alles. Das war also eine einzigartige Erfahrung für mich. Ich habe noch nie zuvor Israelis getroffen, weil ich in Ramallah lebe und nie direkten Kontakt mit ihnen hatte, außer an den Kontrollpunkten – und dort treffe ich sie, weil ich es muss, und das ist nicht wirklich, naja … dies ist also das erste Mal, dass ich Israelis treffe.
Ich hatte Angst, bevor ich hierher kam. Du weißt ja, dass die Menschen in meinem Land ziemlich voreingenommen sind. Bevor ich hierher kam, versuchten mir ein paar meiner Freund*innen und Kolleg*innen einzureden, dass ein Seminar wie dieses hier Normalisierung ist und ich das nicht tun darf, und nicht einfach mit ihnen [den Israelis] reden sollte und dass das nicht der Weg des Widerstands ist. Aber ich wollte es versuchen, denn ich hatte eine andere Meinung dazu als sie und jetzt weiß ich, dass dies tatsächlich der richtige Weg des Widerstands ist. Bei Widerstand geht es für mich darum, einander zu verstehen und zu versuchen, eine gemeinsame Lösung für uns beide zu finden, weil wir beide in Frieden leben wollen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass viele Leute die gleichen Dinge wollen und es sind wir, die das erreichen können.
L.K.: Das ist ein sehr starker Gedanke. Widerstand wird oft als gewalttätig und aggressiv angesehen, wenn er „radikal“ ist. Aber radikal kann auch etwas anderes sein und das ist es, was du gerade erklärt hast. Radikaler Widerstand, aber auf einer anderen Ebene.
T.B.*: Ja, und ich glaube auch, dass ich früher den Konflikt vermieden und nie über ihn gesprochen habe. Ich habe generell jeden Konflikt vermieden und schon immer Konflikte zwischen Menschen gehasst. Aber im Moment macht es mir nichts aus, über den Konflikt zu sprechen und meine Meinung mit anderen zu teilen. Auch, wenn jemand anderer Meinung ist als ich, bedeutet das nicht, dass ich nicht dennoch in der Lage bin, meine Meinung mit dieser Person zu teilen. Es ist meine Meinung und ich habe das Recht, sie allen anderen mitzuteilen und dazu zu stehen – egal was passiert.
L.K.: Also, warum bist du hierher zu diesem Dialogseminar gekommen, wenn du zuvor immer den Konflikt vermieden hast?
T.B.*: Es ist wirklich schwer, Konflikte zu vermeiden, wenn ich Teil des Konflikts bin. Ich fühlte mich, als wäre ich ein bisschen „nutzlos“, weil ich nichts tat. Andere Menschen sind viel stärker als ich und arbeiten aktiv für eine Veränderung und ich bin hier ohne zu wissen, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Und außerdem wollte ich immer irgendwas mit Frauen-Empowerment machen und hier in diesem Seminar geht es um uns als Frauen, die den Wandel herbeiführen werden. Und ich glaube, dass wir tatsächlich den Wandel vollziehen können, denn Frauen sind der Wandel. Zu dem Seminar zu kommen, bedeutet für mich, beides miteinander zu verbinden und ich fühle mich dem, was ich vorhabe, nun näher. Weil ich immer wusste, dass ich etwas tun möchte, das Frauen-Empowerment und Lösungsansätze des Konflikts verbindet.
L.K.: Wirklich interessant. Ich glaube, du hast heute im Seminar erwähnt, dass du dich als schüchterne Person beschreiben würdest, und jetzt ist es dein großes Ziel, über Politik zu sprechen und selbstbewusst zu sein.
T.B.*: Ich bin immer noch eine schüchterne Person, aber ich möchte nicht zulassen, dass meine persönlichen Ängste mein großes Ziel beeinflussen. Ich lebe, um eine Veränderung herbeizuführen und ich möchte das wirklich tun, auch wenn es bedeutet, dass ich aus meiner Komfortzone herauskommen und Dinge tun muss, mit denen meine Freund*innen vielleicht nicht einverstanden sein werden.
L.K.: Das Seminar ist nun fast zu Ende – hast du Angst davor, jetzt zurück nach Hause zu gehen?
T.B.*: Angst? Nein. Beziehungsweise, ich habe keine Angst vor Menschen, aber ich habe Angst, weil es jetzt vorbei ist und sich mir die Frage stellt, was nun wohl auf mich zukommt. Was soll ich tun? Es ist ganz schön hart, weil ich im Seminar viel durchgemacht habe und jetzt muss ich zurückgehen, ohne wirklich zu wissen, was ich tun soll. Also, ich habe in den letzten zwei Tagen viel darüber nachgedacht. Klar, jetzt weiß ich zwar, was ich will, aber was soll ich nun tun, um das zu erreichen, was ich will?
Ich für mich möchte mich nun für einen Masterstudiengang bewerben. Das ist der erste Schritt. Aber mein eigentliches Ziel ist es, im Bereich der humanitären Hilfe und für die Teilhabe von Frauen zu arbeiten. Ich möchte einen Wandel voranbringen, von dem nicht nur bestimmte Organisationen profitieren, die sowieso schon viel Geld haben. Ich möchte an mehr Seminaren wie diesem teilnehmen und versuchen, Menschen von beiden Seiten zusammen zu bringen, um miteinander zu sprechen. Ich habe auch einen Rat für die nächsten Teilnehmer*innen: Bereitet euch auch inhaltlich schon vor dem Seminar vor, dann seid ihr besser gewappnet, euch auf all das einzulassen.