Auch vor Ort in Israel und Palästina arbeiten unsere Partner*innen vor und nach den Dialogseminaren mit den Teilnehmenden – neben Vor- und Nachbereitungstreffen entstehen in der Weiterarbeit eigene Initiativen.
Vor den Dialogseminaren
Bevor die Teilnehmer*innen zum Dialogseminar nach Deutschland kommen, treffen sich die israelische beziehungsweise palästinensische Dialoggruppe mehrmals unter sich, um sich auf das Seminar vorzubereiten. Ein wichtiger Aspekt der Vorbereitungstreffen ist, sich über die eigene Motivation klarzuwerden und sich über Erwartungen und Ängste hinsichtlich des Dialogseminars auszutauschen. Die Teilnehmenden können ihre Gruppe kennenlernen und Vertrauen zueinander aufbauen. Dabei läuft der Prozess bei der israelischen und palästinensischen Gruppe teilweise ähnlich ab, es gibt aber auch viele Unterschiede.
Auf der israelischen Seite ergänzen beispielsweise Vorträge zur palästinensischen Geschichte oder eine politische Tour durch Ost-Jerusalem die Vorbereitung auf inhaltlicher Ebene. In der palästinensischen Gruppe ist häufig das sensible Thema der Normalisierung zentral: aus den Gesprächen über Motivation und Ängste mit Blick auf die Begegnung mit den „Anderen“ stellen sich Palästinenser*innen Fragen danach, ob und warum (nicht) Treffen mit Israelis wirklich sinnvoll sind und inwieweit eine solche Begegnung möglicherweise sogar eher zur Zementierung und Normalisierung des Status quo beitragen kann. Es ist für sie von zentraler Bedeutung, Struktur und Ablauf des Seminars im Vorhinein genau kennenzulernen und sicher zu gehen, dass es sich nicht um eine „freundschaftliche Sommerfreizeit“, sondern ernsthaften politischen Dialog handelt und weder beabsichtigt noch erwartet wird, dass sie Freund*innenschaften knüpfen oder „Versöhnung“ erreichen sollen.
Gleichzeitig ist es insbesondere für Palästinenser*innen ein nicht zu unterschätzendes Risiko, an einem Dialogseminar mit dem „Feind“ teilzunehmen: nicht selten verheimlichen die Teilnehmenden vor Familie und Freund*innen, worum es sich bei dem Seminar genau handelt, um nicht als Verräter*in gebrandmarkt oder diffamiert zu werden.
Zuletzt ist die Vorbereitungsphase auch dazu da, logistische Reisevorbereitungen zu treffen: für Israel*innen ist dieser Punkt zumeist schnell erledigt, auf palästinensischer Seite braucht dieses Thema deutlich mehr Zeit und Aufwand, da die Gruppe einerseits für die Einreise nach Deutschland Visa beantragen muss, was mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden ist und andererseits über den Flughafen in Amman, Jordanien ausreisen muss, was Reisezeiten verlängert und Planung braucht.
Nach den Dialogseminaren
Im Anschluss an die Dialogseminare folgt ein offener Weiterarbeitsprozess, bei dem viel von der Eigeninitiative der Gruppe abhängt. Zunächst organisiert das palästinensische beziehungsweise israelische Team jeweils ein uni-nationales Nachfolgetreffen, welches der Gruppe Gelegenheit gibt, das Zurückkommen nach Hause und die Seminarerfahrung gemeinsam zu reflektieren und sich darüber auszutauschen.
Erfahrungsgemäß löst das Wieder-Ankommen in der eigenen Gesellschaft bei den Teilnehmenden starke Gefühle aus, die für viele zunächst überfordernd sind: neben Gefühlen von Wut und Ohnmacht treibt der starke Wunsch danach, sich weiter mit dem Konflikt und der Besatzung auseinanderzusetzen und selbst aktiv in der eigenen Gesellschaft zu werden, viele Teilnehmer*innen um. Auch hier ist das Erleben auf israelischer und palästinensischer Seite oft unterschiedlich. Israel*innen erfahren nicht selten, dass nach einiger Zeit der „Alltag“, in dem der Konflikt und die Situation der Palästinenser*innen meist sehr weit weg ist, sie einholt und zum Beispiel berufliche Verpflichtungen es schwerer als gedacht machen, selbst für ein Ende der Besatzung aktiv zu werden.
Auf palästinensischer Seite treten weitere Aspekte hinzu, mit denen viele Teilnehmer*innen zunächst nicht gerechnet hatten: hier berichten Teilnehmende immer wieder davon, wie herausfordernd es ist, sich beispielsweise in gesellschaftlich dominante Geschlechterrollen (wieder) einzufinden. Insbesondere weibliche Teilnehmende erleben beim Zurückkommen eine Art „Kulturschock“, weil nach der Freiheit, die sie während des Dialogseminars in Deutschland gespürt haben, das Zurückkommen als sehr einschränkend empfinden.