Was passiert eigentlich vor den Dialogseminaren für Israelis und Palästinenser*innen in Deutschland? Die Teilnehmenden bereiten sich selbstverständlich auf das Seminar vor und werden von den lokalen Koordinator*innen nach bestimmten Kriterien ausgewählt. Die palästinensische Koordinatorin des Frauen*seminars schilderte uns 2019 den Auswahl- und Vorbereitungsprozess und die Herausforderungen, denen sie gemeinsam mit den Teilnehmerinnen begegnete.

Normalerweise machen wir keinerlei Werbung, das heißt wir posten zum Beispiel keine Veranstaltungshinweise auf Facebook und es gibt keine öffentliche Ausschreibung. Ich frage Personen oder Organisationen, denen ich vertraue, oder auch Personen, die in zivilgesellschaftlichen Organisationen aktiv sind. So bekomme ich Vorschläge und Empfehlungen für potentielle Teilnehmerinnen; manchmal geben Menschen auch meine Telefonnummer an Interessierte weiter. Als nächstes bitte ich die Interessierten darum, mir einen kleinen Text über sich selbst schreiben, in welcher Phase ihres Lebens sie gerade sind, wo sie leben, wie alt sie sind, eben ein paar Grundinformationen. Danach führe ich ein Gespräch mit ihnen, wenn möglich, treffe ich sie persönlich, und mache mir ein Bild davon, ob sie in unser Seminar passen und ob das Seminar zu ihnen passt. Dieses Jahr habe ich zum ersten Mal mit einem kurzen Bewerbungsformular gearbeitet, in dem die Interessentinnen auch ihre Motivation schildern sollten.

Im ersten Vorbereitungstreffen sind dann meistens noch ein paar mehr Teilnehmerinnen als es Plätze gibt; dann füllen wir gemeinsam die Visumsanträge aus und beginnen mit der Vorbereitung, aber am Ende kommen nicht alle mit zum Seminar.

Zum einen ist es so, dass es insbesondere für die Palästinenserinnen, die im Westjordanland leben, ziemlich heikel ist, Israelinnen zu treffen. Wie auch in den Vorjahren realisierten einige von ihnen erst beim ersten Vorbereitungstreffen wirklich, dass beim Seminar Israelis sein werden. Ich erkläre ihnen das Projekt und dass es darum geht, über den Konflikt zu sprechen, über unsere Geschichten zu sprechen und dass es für mich keine Normalisierung ist. Wir fahren nicht dorthin, um Freundinnen zu finden und Spaß zu haben, ohne über unsere Frustration und die Unterdrückung durch die Besatzung zu sprechen. Dieses Jahr gab es viele, die erst sehr interessiert waren und dann nach einer Weile Angst bekamen: Sie sagten mir ganz direkt, dass sie große Angst haben, dass ihre Familie, Freund*innen und Arbeitgeber*innen ein Problem mit ihrer Teilnahme hätten und sie daher aussteigen. Deshalb hatte ich die Warteliste.

In der uni-nationalen Vorbereitung sollen die Teilnehmerinnen einander kennenlernen, ich will sie kennenlernen und es ist wichtig, auch die Gruppendynamik zu beobachten und darauf zu achten, dass die Gruppe eine gewisse Diversität hat. Auch schaue ich darauf, ob die Teilnehmerinnen interessiert sind und sich aktiv beteiligen. Denn wir wissen, dass oft anfangs ihre Motivation eher die Möglichkeit ist, nach Europa zu reisen. Ich erkenne an, dass aufgrund der finanziellen und politischen Situation und den bürokratischen Hürden des Visaprozesses Palästinenser*innen oft kaum Möglichkeiten haben, außerhalb Palästinas zu reisen. Aber selbstverständlich möchte ich auch aktive und interessierte Teilnehmerinnen haben.

Zum anderen gab es dieses Jahr ein besonderes Problem, weil es in der Vorbereitungsphase Drohungen gab. Ein Arbeitskollege von vier Frauen, die gemeinsam in derselben Firma arbeiten und alle zum Seminar kommen wollten, hat zufällig gehört, was sie vorhaben. Er fand das nicht gut und hat ihnen gedroht, dass er ihnen „das Leben richtig schwer machen“ würde, wenn sie am Seminar teilnähmen. Beim ersten Vorbereitungstreffen mussten wir den Ort des Treffens verlegen und ich habe auch die Details über die Adresse erst am frühen Morgen des gleichen Tags rausgegeben, weil dieser Kollege behauptet hatte, er wisse, wo sich die Gruppe treffen würde und er würde dort hinkommen, das Treffen auffliegen lassen und alle als Verräterinnen und Kollaborateurinnen bloßstellen. Ich selbst hatte auch Angst und habe mich bei Freund*innen informiert, was ich in so einem Fall machen könnte. Sie sagten mir alle, dass ich dann einfach die Polizei rufen könnte, weil wir ja nur eine Gruppe palästinensischer Frauen* sind, die sich treffen, und gar keine Israelis dabei sind. Es war schwierig, weil alle nervös waren und wegen seiner Drohung die ganze Zeit aus dem Fenster rausschauten. Dann fuhr ein Auto vorbei und eine derer, die mit ihm in der gleichen Firma arbeiten, sagte, es sei sein Auto. Aber er saß nicht am Steuer. Trotzdem war es furchteinflößend und alle waren angespannt.

Ich versuche immer, von Anfang an herauszufinden, wer wirklich Interesse am Seminar hat und wer vielleicht nur kommt, um eine Szene zu machen oder die Informationen weiterzugeben und dem Projekt zu schaden.

Selbst jetzt, zum Ende des Seminars hin, verfolge ich die Situation mit diesem Arbeitskollegen weiter. Zum Glück hat ihn sein Arbeitgeber verwarnt, denn es verstößt gegen seinen Arbeitsvertrag, Kolleg*innen aufgrund von Religion oder politischer Einstellung zu diskriminieren. Das hat uns etwas geholfen und er hat aufgehört, die Teilnehmerinnen zu belästigen. Am Ende sind drei von vier mitgekommen, aber sie hatten alle Angst. Auch ich hatte die ganze Zeit während des Seminars Angst, dass jemand aus meiner Gruppe Informationen weitergibt, was am Ende auch gestimmt hat: Eine der besagten Teilnehmerinnen ist mit ihm in Kontakt geblieben. Sie wollte ihn überzeugen, dass das Seminar keine Normalisierung ist. Aber ich sagte ihr: „Siehst du nicht, dass diese Person dir überhaupt nicht zuhört? Er hat doch kein Interesse an dem, was du sagst, ihm ist egal, ob du Argumente hast“. Er war wirklich aggressiv und hat versucht, auch noch andere in der Firma zu finden, die ihn dabei unterstützen, die Teilnehmerinnen bloßzustellen. Er hatte sogar Posts aus Facebook veröffentlicht, es war schrecklich.

Trotz allem war der Vorbereitungsprozess dieses Jahr insgesamt produktiver im Vergleich zum letzten Jahr. Insbesondere mein Moderationsteam hat mich sehr stark unterstützt und wir haben auch den Auswahlprozess gemeinsam gemacht. Besonders freut mich, dass eine Teilnehmerin vom letzten Jahr dieses Jahr als Moderatorin dabei war. Ich habe mit ihr gearbeitet und sie vorbereitet, sie ist sehr engagiert. Zudem war die Diversität der Gruppe dieses Jahr einzigartig: neben Palästinenserinnen aus dem Westjordanland waren auch Palästinenserinnen mit israelischer Staatsangehörigkeit und sogar eine Teilnehmerin aus dem Gazastreifen dabei.