Am vergangenen Sonntag wurde in Serbien gewählt. Gewonnen hat die Regierungspartei des autoritären, derzeit amtierenden Präsidenten Alexandar Vucić, bzw. sie behauptet gewonnen zu haben. Denn nationalen und internationalen Beobachter*innen zufolge zeigten sich zahlreiche Hinweise auf Wahlbetrug, die den rechtmäßigen Ablauf der Wahl und somit auch ihr Ergebnis anzweifeln lassen. Mila S. (Name geändert), eine langjärige Aktive bei unserer Partner*innenorganisation LINK in Sombor die zusammen mit anderen Freiwilligen als Wahlbeobachter*in aktiv war, zieht hier ihr Resümeé.
(Text: Mila S.) Seit 2016 organisiert der Center for Research, Transparency and Accountability (CRTA) – eine gemeinnützige, unabhängige und überparteiliche Organisation der Zivilgesellschaft Wahlbeobachtung in Serbien. In jedem Bezirk Serbiens stellt der CRTA eine Gruppe von Personen zusammen, die für die Wahlbeobachtung in vorher zugewiesenen Wahllokalen zuständig sind. Bemerken die Beobachter*innen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl, rufen sie die Rechtsabteilung des CRTA an, das die Unregelmäßigkeiten der örtlichen Polizei meldet, die dann zum Wahllokal kommt, und wenn es Beweise für Wahlbetrug gibt, schließt die Polizei das Wahllokal und annulliert die Stimmen aus diesem Wahllokal. So sollte es in der Theorie aussehen, doch dieses Mal hat die Praxis mehr denn je bewiesen, dass es anders ist.
Während der Wahlen im Dezember 2023 war ich als Koordinator*in der CRTA für den Bezirk Wes Bačka im Einsatz. Mir waren insgesamt 36 Beobachter*innen in unserem Bezirk unterstellt und auch junge Erwachsene aus dem Kreis von LINK waren an der Beobachtungsmission beteiligt.
Basierend auf einer Stichprobenauswahl vorab werden Beobachter*innen den Wahllokalen zugewiesenen. Ein*e Beobachter*in ist in der ersten Schicht im Wahllokal, der andere in der zweiten Schicht bis zur Auszählung der Stimmen in selben Wahllokal. Zusätzlich zu den Beobachter*innen in den Wahllokalen gibt es auch ein mobiles Team von zwei Personen, die den Ablauf vor den Wahllokalen an je zwei Orten beobachten, um das Geschehen draußen zu verfolgen.
Um die Mittagszeit des Wahltages bemerkten die Wahlbeobachter*innen eines mobilen Teams, die auch bei LINK aktiv sind, in der Gemeinde Odzaci Wahlbetrug, in diesem Fall eine Übergabe von Stimmzetteln an das Büro der Serbischen Fortschrittspartei auf der anderen Straßenseite des Wahllokals im Dorf Karavukovo. Das mobile Team rief sofort das Rechtsabteilung des CRTA an, das die Polizei verständigte. Das mobile Team wartete anderthalb Stunden auf die Polizei, bis es schließlich einen Anruf von der Polizeiwache in Odzaci erhielt, dass in wenigen Minuten ein Kollege in Zivil eintreffen würde. In diesem Moment erschienen drei Männer in einem schwarzen Jeep, stiegen aus und gingen auf das Auto des mobilen Teams zu. Sie fingen an, mit ihren Händen an ihrem Auto zu rütteln und sie zu bedrohen. Dem mobilen Team gelang es irgendwie zu entkommen. Auf der Straße zwischen den Dörfern Karavukova und Odzaci riefen sie mich an, um mir zu berichten, was passiert war, und während des Gesprächs bemerkten sie, dass sie von Leuten in einem Jeep verfolgt wurden. In Panik flüchteten sie auf den Hof des Polizeireviers in Odzaci. Ein schwarzer Jeep mit drei männlichen Personen fuhr in den Hof des Polizeireviers hinter ihnen, wo drei Männer – ich wiederhole – im Hof des Polizeireviers, Schlagstöcke zückten und ihr Auto zerschlugen, während sie darin saßen. Niemand von der Polizei kam ihnen zu Hilfe. Als ihr Auto zertrümmert war, flüchteten sie, und zwei Personen, die zum mobilen Team gehörten, betraten sichtlich aufgebracht und mit Glas von den zerbrochenen Scheiben übersät die Wache, um den Fall zu melden. Danach wurden sie zur Untersuchung in die örtliche Klinik gebracht. Das Wahllokal wurde nicht geschlossen! Nur eine Person wurde festgenommen. Die beiden anderen Männer, die die Tat begangen hatten, wurden nicht festgenommen. Da dies zum ersten Mal in 7 Jahren Wahlbeobachtung geschah, berichteten die Medien in ganz Serbien über diesen Vorfall.
Abgesehen von diesem Fall gab es viele weitere Fälle von Gewalt, auch gegen Kontrolleure der Oppositionsparteien. Am Wahltag tauchten in den sozialen Netzwerken Videos auf, die Wahlmanipulationen in allen Städten Serbiens, insbesondere in Belgrad, zeigten. Unterstützer*innen der Serbischen Fortschrittspartei kauften Stimmen, verteilten leere Stimmzettel, schleusten Unbekannte in Wahllokale ein, die sie nicht betreten durften, um zu sehen, wer für die Serbische Fortschrittspartei stimmte, erpressten Wähler*innen in dem sie ihnen den Verlust des Arbeitsplatzes androhten und schlugen, verfolgten und folterten oppositionelle Kontrolleur*innen und Wahlbeobachter*innen.
Zum ersten Mal in sieben Jahren Wahlbeobachtung erklärte die CRTA auf ihrer Pressekonferenz, dass sie zu den Wahlen in Belgrad wegen Wahlbetrugs keine Wahlstatistiken vorlegen konnte und dass das Ergebnis nicht dem Wählerwillen der Bürger*innen entspräche.
Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Menschen massenhaft zur Wahl gegangen sind und für die Opposition gestimmt haben und dass Beobachter*innen jede Stimme im ganzen Land buchstäblich mit ihrem Leben verteidigt haben. Die Opposition reichte bei der städtischen Wahlkommission eine Klage auf Annullierung der Wahlen in Belgrad ein, die jedoch abgewiesen wurde, so dass derzeit Proteste vor der nationalen Wahlkommission in Belgrad stattfinden.
Die Wahl 2023 in Serbien wird mir als einer der schmutzigsten Kämpfe der Regierungspartei, durchsetzt von Gewalt, in Erinnerung bleiben. Ich bin zutiefst verletzt, traumatisiert und sehr wütend, weil ich denke, dass Serbien in den kommenden Jahren eine echte Hölle werden wird, in der das „Recht des Stärkeren“ herrscht und in der ein Parteibuch zum Überleben notwendig ist.
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