Lieber Unterstützer*innen,
„Wi.e.dersprechen“ blickt auf einen Sommer zurück, der geprägt war von Krieg und Gewalt, aber auch von dem Wunsch, miteinander zu sprechen, von tiefer Verbundenheit und gemeinsamen Aktionen.
Am 21. September, dem Internationalen Tag des Friedens, feiern unsere Partnerinnen auf dem Balkan in Tuzla den Erfolg von 30 Jahren Arbeit für ein friedliches Zusammenleben. Sie blicken auf drei Jahrzehnte Friedensarbeit zurück – die im Netzwerk Youth United in Peace (YU-Peace) weiterlebt. Im Juli fand auf dem Balkan das YU-Peace Camp für Aktive statt. Die Gruppe besuchte die Gedenkstätte Potočari, das Memorial Center und den Gedenkraum für serbische Opfer in Srebrenica. Sie hatte vorher in Workshops über das Massaker an den Musliminnen gesprochen; die direkte Konfrontation mit den Gräbern, den Filmen und den Zeugnissen der Flucht, war dennoch schockierend. Den Besuch des Gedenkraums für serbische Opfer fand die Gruppe wichtig, da diese in den lokalen Narrativen zumeist entweder ganz ausgeblendet oder als die einzigen „wahren“ Opfer dargestellt werden. Eine muslimische Teilnehmerin, die im Genozid viele Familienmitglieder verloren hatte, betonte, wie wichtig es für sie sei, auch vom Leid der Serb*innen zu hören.
Kurz danach fand in Seget Donji die Begegnung für neue Interessierte mit 67 Jugendlichen aus Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kroatien statt. Sie sprachen über den Krieg in ihren Ländern und dessen Auswirkungen bis heute. In Workshops zu Themen wie Hassrede, Stereotype und Diskriminierung diskutierten sie, wie sie Hassrede entgegentreten können und reflektierten eigene Vorureile. Tahir Zustra, ein ehemaliger Teilnehmer und heute bekannter Journalist in Bosnien und Herzegowina, zeigte auf, wie Jugendliche Medienmanipulation erkennen und ihr begegnen können. Am Ende diskutieren alle, wie sie in ihren Städten weiter aktiv werden können. Den Abschluss des Camps bildete eine gemeinsame öffentliche Aktion in Gornji Vakuf-Uskoplje (S. 4).
Gemeinsamer Dialog trotz Krieg und Gewalt
In Israel und Palästina verschärft sich die Lage weiter. Die Waffenstillstandsverhandlungen um Gaza stocken, die israelische Armee verstärkt ihre Angriffe im Westjordanland. „Das hier ist schlimmer als die zweite Intifada. Nablus, Jenin, Hebron, die Armee ist überall (…) und noch nie haben die Siedler in solcher Geschwindigkeit neue Siedlungen gebaut“, schildert Salma F. (Name geändert), palästinensische Koordinatorin des Dialogseminars für Frauen. Gleichzeitig wächst der Widerstand innerhalb Israels gegen die Politik der Regierung. In Tel Aviv gingen zuletzt Hunderttausende auf die Straße, Anfang September kam es sogar zu einem Generalstreik. Besonders beeindruckend ist, dass trotz der schrecklichen und lebensbedrohlichen Situation vor Ort 18 Frauen aus Palästina und Israel bereit waren, sich im August in Deutschland zu treffen. Statt eines klassischen Dialogseminars trafen sich ausgewählte Teilnehmende des letzten Jahres zu einem vertieften Dialog; besonders heftig wurde über die Ereignisse des 7. Oktober diskutiert. Zudem stand die gemeinsame konzeptionelle Weiterentwicklung des Programms im Mittelpunkt (S.2).
Bereits zweimal im September trafen sich Palästinenser*innen mit israelischer Staatsangehörigkeit unserer Partnerorganisation Seekers (Name geändert), eine Begegnung mit jüdischen Aktiven steht bevor. Die Treffen der palästinensischen Gruppe im Westjordanland finden weiter digital statt, Begegnungen mit den beiden anderen Gruppen sind aufgrund der Sicherheitslage nicht möglich. Mit einer laufenden Vortrags- und Diskussionsreihe in Israel setzt Seekers spalterischen Diskursen etwas entgegen. Außerdem hat der Auswahlprozess für die Jugendlichen der neuen Zweijahresgruppen begonnen, die ab Ende 2024 in einen Dialogprozess eintreten sollen. „Wir entwickeln zudem unsere methodischen Werkzeuge weiter, beraten Menschen und Organisationen, die uns darum bitten (…) all das tun wir, während wir gegen die Verzweiflung ankämpfen“, berichtet Karim A. (Name geändert), palästinensischer Koordinator im Westjordanland.