gewaltfrei – konfliktreich
Worum geht es uns? Was bedeutet für uns Dialog?
Das Projekt Wi.e.dersprechen ermöglicht Dialoge zwischen jungen Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten und will damit eine exemplarische Friedenspraxis etablieren.
Die Dialoge sind nicht an Vorbedingungen geknüpft, außer an die Bereitschaft, einander zuzuhören und miteinander zu reden. Sie sind bewusst ergebnisoffen, es werden keine Einigungen und auch keine vorschnellen Versöhnungsgesten erwartet. Denn dies könnte dazu führen, dass wichtige Themen nicht diskutiert, sondern diesem Ziel untergeordnet werden.
Im Mittelpunkt der Seminare steht der Prozess und die gemeinsame Auseinandersetzung mit bestehenden oder vergangenen Konflikten. Dies bedeutet, die „Anderen“ als Menschen mit ihrer Wahrheit und Lebenswirklichkeit kennenzulernen.
Dabei wird dies bewusst jungen Menschen mit unterschiedlichem Bildungshintergrund oder sozialem Status ermöglicht und richtet sich nicht an Mitglieder bestehender Organisationen oder potentielle Entscheidungsträger*innen. Wi.e.dersprechen versteht sich als Graswurzelinitiative und möchte die Zivilgesellschaft und deren Eigeninitiativen unterstützen.
Gemeinsam ist uns das Ziel, einen Beitrag dazu zu leisten, die politische Lebensrealität vor Ort zu verbessern und ein friedliches Zusammenleben in Gerechtigkeit zu realisieren. Dies setzt ein Bewusstsein für asymmetrische Machtverhältnisse und Privilegien, sowie Mechanismen von Diskriminierung und Vorurteilen voraus. Die Teilnehmenden sollen darin gefördert werden, eine deutliche Positionierung zur politischen Realität einzunehmen und auch ihre eigene Gesellschaft kritisch zu hinterfragen.
Zum Konzept der Begegnungen im ehemaligen Jugoslawien
Aufgrund der Geschichte des Projekts im ehemaligen Jugoslawien gab es zunächst kein bestimmtes Konzept, nach dem die Begegnungen konzipiert waren. Viel mehr bildete sich im Laufe der Jahre, auf Basis vielfältiger Erfahrungen der Mitarbeiter*innen, ein eigenes Konzept heraus. Während zu Anfang der Begegnungen, neben dem Kennenlernen der „Anderen“, ein wichtiger Aspekt des Projekts war, Kindern noch im Krieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Auszeit von ihrem Alltag in schwierigen Lebensumständen zu bieten, wurden die Begegnungen im Laufe der Zeit inhaltlich politischer. Mit der Entscheidung, ab 2004 mit Jugendlichen anstatt Kindern zu arbeiten verstärkte sich dies weiter. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Geschichte, den Kriegen und auch aktuellen gesellschaftspolitischen Tendenzen in den einzelnen Ländern rückte in den Vordergrund.
Gegenwärtig drehen sich die ersten Tage der zweiwöchigen Erstbegegnungen darum, sich kennenzulernen und Vertrauen zu den „Anderen“ aufzubauen, dann beschäftigen sich die Jugendlichen in verschiedenen Workshops mit sozialen und aktuellen politischen Themen. In der zweiten Hälfte geht es konkret um die Auseinandersetzung mit den Kriegen und deren Auswirkungen auf die Gegenwart. Dies geschieht ebenfalls in Form von Workshops, Vorträgen, Theater oder Filmen. Neben politischen Workshops spielt auch gemeinsam verbrachte Freizeit eine große Rolle. Das Konzept zielt darauf ab, dass die Jugendlichen selbst für den Frieden und für eine Veränderung der Gesellschaft aktiv werden können. Zum Ende der zwei Wochen bietet sich dafür in der Regel die erste Möglichkeit im Rahmen einer öffentlichen Aufführung/Performance. Weitere Angebote, friedenspolitisch aktiv zu werden, finden die Teilnehmer*innen in den Partnerorganisationen oder bei den zahlreichen Nachfolgeaktivitäten wie Wochenendbesuche und Nachfolgecamps des Netzwerks Youth United in Peace.
Zum Konzept der Dialogseminare für junge Erwachsene aus Israel und Palästina
Methodisch arbeiten die meisten unserer Partner*innen mit dem „politischen Narrativ“-Ansatz. Dieser Ansatz strukturiert die Dialogseminare anhand dreier narrativer Kernbereiche: die Teilnehmenden teilen zunächst ihre persönliche Geschichte, dann geht es um ihre Familiengeschichte und schließlich um die kollektive Geschichte der jeweiligen Gruppe. Vertreter*innen dieses Ansatzes sind der Auffassung, dass der geschützte Rahmen des Dialogs nicht dazu beitragen darf, die Macht-Ungleichheit und fehlende Augenhöhe zwischen den Konfliktpartner*innen in der Realität und ihre Auswirkungen auch im Seminarraum außer Acht zu lassen. Daher sei es nötig, einen nicht nur individuellen sondern bewusst kollektiven Dialog zu führen, die Besatzungs-Dynamik müsse thematisiert und den Teilnehmenden vor Augen geführt, die größere Verantwortung des stärkeren Konfliktpartners für die Lösung des Konfliktes und Veränderung der Menschenrechts-verletzenden Realität vermittelt werden.
Neben dem politisch- narrativen Ansatz arbeiteten die verschieden Partner*innen auch immer wieder mit unterschiedlichen Konzepten und Methoden, wie zum Bespiel Theater als Mittel der Konfliktbearbeitung oder auch mit medienpädagogischen Ansätzen. 2019 fand beispielsweise bei einem der beiden Seminare zum ersten Mal ein Konzept Anwendung, welches den politisch- narrativen Ansatz mit der Methode der gewaltfreien Kommunikation verbindet.